Oberzell


 

GESCHICHTE

Oberzell: Mainfränkische Prämonstratenser - Maschinenfabrik - Mutterhaus

Vor den Toren Würzburgs liegt auf der linken Mainseite das Kloster Oberzell. Bis zu seiner Säkularisation im Jahr 1803 war es die einzige Kloster der Prämonstratenser in Franken im Rang einer Abtei. Die so genannte fränkische Tochter von Prémontré verdankte ihre Entstehung dem Besuch des hl. Norbert von Xanten in Würzburg im Jahr 1126. Er war auf der Rückreise von Rom, wo er die Bestätigung seines neu gegründeten Ordens erhalten hatte, und feierte das Osterfest in Würzburg. Während des Gottesdienstes im Dom heilte Norbert eine blinde Frau. Das Wunder veranlasste Bischof, Domklerus und Laien sofort zu Stiftungen, mit denen ein neues Kloster ausgestattet werden konnte.
1130 beurkundete Bischof Embrico die Gründung des Klosters "Zell" auf einem bischöflichen Gutshof. Zwei Brüder aus einer vornehmen Familie der Stadt leiteten den Konvent. Der Bau der Klosterkirche begann 1128 bei einem zweiten Besuch des hl. Norbert in Würzburg. Die dreischiffige Basilika ist im Kern bis heute erhalten. Um 1150 dürfte Zell zur Abtei erhoben worden sein. Von der Blüte des Klosters in der Romanik zeugen auch das große Doppeltor zum Klosterhof und der Bogenfries des Südportals.
Typisch für die frühen Prämonstratenser war die Anlage von Zell als Doppelkloster. Um 1230 baute man für die Chorfrauen eine neue eigene Klosteranlage in der Nachbarschaft der Abtei. Das Frauenkloster "Unterzell" ("cella inferior") blieb in geistlicher Beziehung zu Oberzell. Zudem fungierten dessen Äbte de facto bis in das 16. Jahrhundert als eigentliche Herren von Unterzell.
Bemerkenswert war die rege Tätigkeit der Abtei in der geistlichen Leitung weiterer Niederlassungen der Prämonstratenser in Franken bis zur Reformationszeit. Bereits 1138 unterstützte Oberzell die Gründung eines Stifts der Prämonstratenser in Tückelhausen bei Ochsenfurt am Main. Von 1159 bis zur Übergabe an die Kartäuser im Jahr 1351 war Tückelhausen der Abtei unterstellt. Oberzell betreute auch das im 13. Jahrhundert entstandene Kloster der Prämonstratenserinnen in Michelfeld bei Kitzingen. Es wurde 1305 aufgegeben und die Chorfrauen übernahmen Tückelhausen. In "väterlicher" Abhängigkeit von Oberzell stand ebenfalls das im 12. Jahrhundert gegründete adlige Stift der Prämonstratenserinnen in Sulz bei Feuchtwangen. Bis zu seiner Aufhebung in der Reformationszeit (1556) amtierte hier stets ein Prämonstratenser aus Oberzell als vorgesetzter Propst und Ortspfarrer. Eine enge Verbindung der Abtei bestand auch zu dem 1161 entstandenen Frauenkloster in Hausen bei Kissingen bis zu dessen Erlöschen 1565. Im frühen 14. Jahrhundert versuchte Oberzell eine Propstei in der vormaligen Einsiedelei St. Elisabeth bei Rieneck im Spessart zu etablieren. Man nutzte sie letztlich nur als Wirtschaftshof und vergab den Besitz ab dem 15. Jahrhundert als Lehen.
Die Wirtschaftskraft von Oberzell scheint im Mittelalter beachtlich gewesen zu sein, denn immerhin wählte Kaiser Karl IV. die Abtei im Jahr 1354 als Sitz seines Hoflagers. Im Bauernkrieg von 1525 diente das Kloster als Hauptquartier für die Belagerer der Festung Marienberg und wurde zugleich von den Bauern ausgeplündert. Der Einfluss der Reformation in Franken führte zu einer spürbaren Verkleinerung des traditionell adligen Konvents im 16. Jahrhundert auf durchschnittlich sechs Chorherrn.
Von 1631 bis 1634 war die weitläufige Klosteranlage durch schwedisches Militär besetzt. Erst 1635 konnten die Prämonstratenser zurückkehren. Allmählich erholte sich das Kloster von den Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs und fand zu einer zweiten Blüte im Geist des Barock. Um 1670 gründete die Abtei in Würzburg ein eigenes Studienkolleg. Es brachte in der Folge eine Reihe von gelehrten Chorherren hervor. 1696 war die Renovierung der Klosterkirche im barocken Stil abgeschlossen. Ausdruck barocken Machtbewusstseins der Prälaten von Oberzell war auch ihr zähes Ringen mit dem Fürstbischof um die Herrschaft über das ehemalige Frauenkloster Gerlachsheim. 1717 erreichte Oberzell die Anerkennung seiner Rechte und errichtete in Gerlachsheim ein neues Priorat für zehn Prämonstratenser.
Bis heute prägt barocke Architektur den Konventtrakt von Oberzell. Sie zeigt die Handschrift des berühmten Würzburger Hofbaumeisters Balthasar Neumann. Ab 1742 errichtete Neumann einen neuen Vierflügelbau für den Konvent, den sein Sohn Franz Ignaz Michael vollendete. Das prächtige Treppenhaus der Prälatur schmückte Antonio Bossi mit Stuckaturen - die Zusammenarbeit von Bossi und Neumann hatte sich bereits beim Bau der Würzburger Residenz bewährt.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts zählte der Konvent über fünfzig Chorherren. 1796 und erneut 1800 wurde die Gegend um Würzburg von französischen Truppen besetzt. 1802 folgte die Inbesitznahme des Hochstifts durch das Kurfürstentum Bayern. Im Frühjahr 1803 wurde die Abtei Oberzell durch den neuen Landesherrn aufgehoben. Die Klosterbibliothek kam an die Würzburger Universität. Unter den abzuliefernden Gemälden befanden sich auch mehrere Werke von Lucas Cranach. Einen sehr fein gearbeiteten Sakristeischrank aus dem Jahr 1758 besitzt heute das Mainfränkische Museum Würzburg. Das säkularisierte Kloster befand sich nach 1803 vorübergehend in privater Hand. Es fiel später wieder zurück an den bayerischen Staat und diente auch als Militärlazarett.
1817 erwarb Friedrich Koenig (1744-1833), der Erfinder der so genannten Schnellpresse, die ehemalige Klosteranlage. König und Andreas Bauer (1783-1860) gründeten in Oberzell die heute noch in Würzburg existierende Druckmaschinenfabrik Koenig & Bauer als weltweit erstes Unternehmen seiner Art. Von allen in Bayern säkularisierten Klöstern wurde Oberzell am intensivsten und längsten als Industrieanlage genutzt. Die Kirche diente als Lagerhalle, im Chorraum stand seit 1838 eine Dampfmaschine und die Kirchtürme waren dem Schlot des Kesselhauses zum Opfer gefallen. Im Jahr 1901 verlagerte die Firma Koenig & Bauer aus Platzmangel ihre Produktion auf das andere Mainufer und verkaufte Oberzell an die "Oberzeller Franziskanerinnen".
Bereits ab 1855 hatte in der Nachbarschaft der Maschinenfabrik die geistliche Gemeinschaft (ab 1888 kirchliche Kongregation) der "Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu vom Dritten Orden des heiligen Franziskus" gelebt. Ihre Gründerin war die gebürtige Würzburgerin Antonia Werr (1813-1868). Die Schwestern widmen sich bis heute besonders der Frauen- und Mädchenarbeit, der Krankenpflege und Kindererziehung. Zudem bietet Oberzell verschiedene geistliche Angebote, etwa das "Kloster auf Zeit" für junge Frauen.
Nun ist das bestens renovierte Kloster Oberzell mit seinen seit einem Jahrhundert wieder erstandenen Zwiebeltürmen das Mutterhaus für mehr als 30 Niederlassungen der "Zeller Franziskanerinnen" auf drei Kontinenten.

( Christian Lankes / Markus Schütz ) 



 

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