Jüdisches Leben
in Bayern

Muhr am See (Altenmuhr) Gemeinde

Obwohl Altenmuhr bereits im Jahr 888 urkundlich erwähnt wird und zu den ältesten Siedlungen im Altmühltahl zählt, ist erst 1593 ein jüdischer Bewohner namens Abraham belegt.

Bei der frühen jüdischen Gemeinde in Altenmuhr handelte es sich möglicherweise um Flüchtlinge aus dem Markgrafentum Brandenburg-Ansbach, die vom „Ausschaffungsedikt“ des Jahres 1561 betroffen waren. Zu jener Zeit saßen die Ritter von Lentersheim auf dem trutzigen Wasserschloss. In ihrer Funktion als Schutzherr siedelten sie rund fünfzig Jüdinnen und Juden auf dem Gelände der abgegangenen Burg Mittelmuhr an, wo eigens für ihre Unterbringung ein Gebäudekomplex errichtet wurde. Im Volksmund ist er bis heute als „Judenhof“ bekannt. 1744 konnte die jüdische Gemeinde das Anwesen erwerben und selbst verwalten. Die zunehmend beengte Wohnsituation besserte sich erst Ende des 18. Jahrhunderts unter den Freiherren von Hardenberg, denn die neue Grundherrschaft gewährte den rund 200 Juden (sic), dass sie sich nun auch im Ort selbst niederlassen und eigene Häuser erbauen konnten. Die Herrschaft Altenmuhr ging 1796 im Königreich Preußen auf und kam 1806 an das neu gegründete Königreich Bayern. Zwei Jahre später wurde eine Volkszählung durchgeführt, die 188 jüdische Einwohner im Ort auflistet.

Altenmuhr hatte nie einen eigenen Rabbiner. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörte die Gemeinde dem Rabbinat Gunzenhausen an, das sich aber 1845 auflöste. Nach heftigem Ringen entschied man sich danach mehrheitlich für den Anschluss an das Rabbinat Wassertrüdingen, dem Altenmuhr am 3. Oktober 1847 offiziell zugeteilt wurde. Kurzzeitig gehörte die Gemeinde 1932/33 auch zum Distirktsrabbinat Ansbach. Als Begräbnisstätte diente jahrhundertelang der große jüdische Friedhof in Bechhofen, aber ab 1875 fanden Altenmuhrer auch in Gunzenhausen ihre letzte Ruhe. Ein eigenes Taharahaus mit Leichenwagen erbaute die Gemeinde im Jahr 1849 zwischen dem alten Waag- und Torhaus.

Spätestens ab 1811 besuchten die jüdischen Kinder in Altenmuhr den gemeinsamen Elementarunterricht in der Volksschule, ihren Religionsunterricht unterhielten sie in der Synagoge. In den 1820ern nahm die Idee einer eigenen jüdischen Elementarschule Gestalt an. Der Unterricht fand zunächst in einem nicht näher beschriebenen Wohnhaus statt, bis 1832 nahe der Synagoge ein eigenes Schulgebäude (Judenhof 21) mit einer modernen Warmwasser-Mikwe im Erdgeschoss errichtet wurde. Das Gebäude steht noch immer und befindet sich in Privatbesitz.

1831 erreichte die Altenmuhrer Gemeinde ihren Höchststand, die erfassten 263 Jüdinnen und Juden machten 37,9 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Ein zu Beginn des 19. Jahrhunderts erbautes Wohnhaus einer jüdischen Familie ist in die bayerische Denkmalliste aufgenommen worden. Es handelt sich um einen zweigeschossiger giebelständiger Bau mit Halbwalmdach und einem Zwerchhaus.

Zwischen 1845 und 1864 wanderten über hundert vornehmlich junge Jüdinnen und Juden aus Altenmuhr ab und suchten ihr Glück in der Fremde. Unter ihnen war auch Benjamin Blumenthal, der seinen Namen anglisiert in "Bloomingdale" änderte und in New York ein Geschäft für Galanteriewaren eröffnete. Seine Söhne gründeten das heute weltweit bekannte Luxuskaufhaus "Bloomingdale's".

Die verbliebenen jüdischen Familien engagierten sich verstärkt im Vereins- und politischen Gemeindeleben des Ortes; sie waren besonders in der Freiwilligen Feuerwehr aktiv und setzten sich für den Kindergarten ein, außerdem unterhielten sie zwei wohltätige Stiftungen, die Bronemann- und die Seller-Stiftung.1876 wurde Kaufmann Simson Richard als erster Jude in den Gemeinderat gewählt. Dennoch schrumpfte die Kultusgemeinde bis zur Mitte der 1930er Jahre unaufhaltsam, 1923 musste die jüdische Elementarschule wegen Schülermangels schließen.

Im Jahr 1933 lebten noch 29 jüdische Einwohner in Altenmuhr. Vor allem die Eindrücke des „Blutigen Palmsonntags“ im nur wenige Kilometer entfernten Gunzenhausen sorgten 1934 für eine vermehrte Abwanderung: 1936 gab es zwanzig Juden im Ort, im November 1937 vierzehn. Ein Jahr später waren es nur noch acht, ein Minjan kam nicht mehr zustande. Daher wurden die Ritualien aus der Synagoge wohl von den Gemeindemitgliedern selbst entfernt, wonach sich ihre Spur leider verliert. Am Morgen des 10. November rissen SA-Leute die Altenmuhrer Juden aus den Betten und sperrten sie in das Taharahaus. Später wurden sie in das Amtsgerichtsgefängnis von Gunzenhausen abtransportiert. Der jüdischen Leichenwagen landete in der Altmühl, wo ihn ein Bauer später herauszog und für seine Zwecke umbaute, die Synagoge wurde demoliert. Dem „Altmühl-Boten“ zufolge wohnte in Altenmuhr ab dem 23. November 1938 kein Jude mehr.

Von dreißig in Altenmuhr geborenen oder länger dort ansässigen Jüdinnen und Juden ist bekannt, dass sie mehrheitlich in die Konzentrationslager Theresienstadt und Piaski gebracht wurden, wo sie alle bis 1945 ums Leben kamen.


(Patrick Charell)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Angela Hager / Hans-Christof Haas/ Cornelia Berger-Dittscheid: Altenmuhr. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 39-44.
  • Falk Wiesemann: Simon Krämer (1808–1887), ein jüdischer Dorfschullehrer in Mittelfranken, in: Haus der Bayerischen Geschichte / Manfred Treml / Wolf Weigand Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern: Lebensläufe. München 1988 (= Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 18), S. 121-128.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 184.