HANDSCHRIFTEN



Die Aufhebung der bayerischen Klöster in den Jahren 1802 und 1803 bedeutete auch die Auflösung der Klosterbibliotheken. Eine Kommission unter der Leitung von Johann Christoph von Aretin sollte die für die Hofbibliothek und die Universitätsbibliothek brauchbaren Werke aussuchen. In Altbayern nahm die Kommission im März 1803 die Arbeit auf. Sie bereiste bis November 1803 insgesamt 69 Klöster. Nach festgelegten Kriterien wurde der Buchbestand der Klöster untersucht. Die Handschriften, deren unersetzlichen Wert auch die Aufhebungskommissare kannten, waren in der Regel für die Hofbibliothek, dier spätere Bayerische Staatsbibliothek, bestimmt. Auch alle gedruckten Werke, von denen nur ein Exemplar vorlag, sollten in die Hofbibliothek gebracht werden. Doppelexemplare waren für die Universitätsbibliothek vorgesehen. So wurden aus dem Kloster Tegernsee rund 1500 Bände Manuskripte für die Hofbibliothek ausgewählt und aus dem Kloster Benediktbeuern 600 Handschriften. Aus der Pollinger Bibliothek kamen über 600 Handschriften und 20.000 Druckwerke nach München. Um 1800 waren in der Hofbibliothek etwa 2000 Handschriften vorhanden gewesen. Diese Zahl wuchs bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf 22000 Handschriften an. In Franken lief aufgrund der historischen und politischen Gegebenheiten die Säkularisation anders ab. Die Mehrzahl der Handschriften und Drucke der fränkischen Klöster blieb in der Region. Sie werden in den Universitätsbibliotheken von Würzburg und Bamberg aufbewahrt. Die meisten Bibliotheken der schwäbischen Reichsstifte wurden zerrissen. Ihre Bestände verteilen sich auf die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, die Studienbibliothek Dillingen und in geringem Umfang auf die Bayerische Staatsbibliothek München. Die Bibliotheken der schwäbischen Klöster, die standesherrlichen Familien zugesprochen wurden, befinden sich heute größtenteils in staatlichem Besitz.

Die Erschließung der in die staatlichen Bibliotheken geströmten Büchermassen war in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die vordringlichste Aufgabe. In dieser "Goldgräberzeit der Geisteswissenschaften" (Dieter Kudorfer) kamen entscheidende Impulse aus dieser Arbeit für die Wissenschaft. Eines der berühmtesten Beispiele sind die 1847 von Johann Andreas Schmeller erstmals herausgegebenen "Carmina burana", die Johann Christoph von Aretin 1803 in Benediktbeuern entdeckt hatte. Aber auch die zahlreichen naturwissenschaftlichen Werke, die aus den Klöstern nach München gebracht wurden, wie etwa Euklids "Elementa" in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts aus dem Kloster Polling, zählen hierher.

Die in unserem Projekt gezeigten Handschriften deuten die große Bandbreite der Handschriftenüberlieferung aus klösterlichem Besitz an. Sie zeigen die Rolle der Klöster als Schöpfer und Bewahrer von Kulturgut: Die in den Klöstern selbst angefertigten Handschriften (zur mittelalterlichen Buchherstellung vgl. Skriptorium) , aber auch die aus der Sammeltätigkeit der Klöster erwachsenen Bestände und nicht zuletzt Beispiele für die hochwertigen Handschriften, die als Stiftung oder Geschenk in die Klöster gelangt waren, werden hier virtuell an ihren Herkunftsort zurückgeführt.

Das Haus der Bayerischen Geschichte ist der Bayerischen Staatsbibliothek München zu großem Dank für die großzügige Bereitstellung der Bildvorlagen verpflichtet.

Wolfgang Jahn


LITERATUR
Hermann Hauke, Die Bedeutung der Säkularisation für die bayerischen Bibliotheken, in: Glanz und Ende der alten Klöster. Säkularisation im bayerischen Oberland 1803, hg. v. Josef Kirmeier und Manfred Treml, München 1991 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 21/91), S.86-97

Lebendiges Büchererbe. Säkularisation, Mediatisierung und die Bayerische Staatsbibliothek, hg. v. Cornelia Jahn und Dieter Kudorfer, München 2003 (Bayerische Staatsbibliothek. Ausstellungskataloge 74)
 

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