Atlas zum Wiederaufbau

Selb

In den Wochen vor dem Einmarsch der US-Truppen am 20.04.1945 kam es zu Bombenabwürfen und Artilleriebeschuss auf Selb. Waren schon während des Krieges Evakuierte in der Stadt untergebracht, kamen nun Flüchtlinge und Heimatvertriebene hinzu; Massenlager mussten errichtet werden. 1950 lebten 4.691 Heimatvertriebene in der Stadt mit ihren insgesamt 18.802 Einwohnern. Flüchtlingsbetriebe kurbelten das Wirtschaftsleben an; neue Siedlungen wurden um die Innenstadt herum errichtet.

Angriffe

• zweimaliger Bombenabwurf im nahegelegenen Vielitz ohne Schäden
• seit Anfang April 1945: verstärkte Präsenz von Tieffliegern im Raum Selb:
 - Angriff auf deutsche Panzer bei der Prellmühle
 - 19. April 1945: Beschuss des Bahnhofs Selb durch US-Tiefflieger
 - 19. und 20. April 1945: Beschuss der Stadt Selb mit 300 Artilleriegranaten

Tote und Verletzte

• durch Tieffliergerangriff bei der Prellmühle Anfang April 1945: 1 toter städtischer Beamter
• durch Beschuss von Tieffliegern im April 1945: 12 Tote
• durch Kampfhandlungen und Standgerichte:
 - 116 tote Soldaten
 - 20 Verwundete durch Artilleriebeschuss
 - 3 Suizid-Handlungen

Schäden

• durch Bombenabwürfe auf Vielitz: kein Schaden
• bei Tieffliegerangriff auf deutsche Panzer Anfang April 1945: Niederbrennen der Prellmühle
• durch Tieffliegerangriff am 19. April 1945:
 - Beschädigung von Betriebsgebäuden und einigen abgestellten Zügen durch ausbrechende Brände
 - Beschädigung der Nebengebäude der Großhandlung Christian Weiß
• durch Artilleriebeschuss am 19. April 1945:
 - Zerstörung bzw. schwere Beschädigung von 2 Wohnhäusern und 2 Betrieben
 - 2 weitere Betriebe beschädigt
 - Schäden in der Bahnhofs-, Friedrich-Ebert- und Wittelsbacherstraße
 - Ausbrennen sämtlicher Lagerräume und Holzvorräte des Sägewerks Krippner
• durch Artilleriebeschuss am 20. April 1945:
 - gesamtes Stadtgebiet mit Ausnahme der östlichen Bezirke und der Hutschenreuther Straße in Mitleidenschaft gezogen
 - Zerstörung der Goßlerschen Bierhalle in der Wunsiedler Straße und der Pechsiederei der Firma Rauh & Ploß in der Schillerstraße durch Brände
 - Zerstörung der Bahnhofsgüterhalle (evtl. jedoch Brandstiftung durch Werwolfsangehörige)
 - Beschädigung des Rathauses, unter anderem des Erkers und der Stuckdecke des Rathaussaales, durch 3 Granaten
 - Schäden an der evangelischen Stadtkirche, am Finanzamt sowie am Zollamt
 - zahlreiche Häuser in Mitleidenschaft gezogen, insbesondere in der Wunsiedler-, Burg-, Förster-, Burgguts-, Mühl-, Tal-, Wittelsbacher-, Wilhelms-, Rosenthal-, Pfarr- und Martin-Pöhlmann-Straße
 - im Osten der Stadt Beschädigung des Wirtschaftsgebäudes der Brauerei Zollfrank und einiger vereinzelter Gebäude
 - in den umliegenden Gemeinden (seit 1977 zu Selb) 3 weitere Häuser und 2 Mühlen zerstört
• Bilanz der Kriegsschäden:
 - 1 völlig zerstörtes Haus
 - 10 schwer beschädigte Häuser
 - 50 leicht beschädigte Häuser
 - 1 völlig zerstörte Scheune
 - 8 schwer beschädigte Scheunen
 - 20 leicht beschädigte Scheunen
 - 5 beschädigte öffentliche Gebäude

Kriegsende

• ab 2. April 1945: Errichtung von Panzersperren durch den Volkssturm
• 15. April 1945: standgerichtliche Hinrichtung eines desertierten Soldaten
• 17./18. April 1945: in der Nacht Abbruch der Panzersperren durch Einwirken des stellvertretenden Bürgermeister Carl Netzsch
• 18./19. April 1945: Stellungsbezug der letzten, noch nicht aufgelösten Volkssturmkompanie am Westrand der Stadt
• 19./20. April 1945: in der Nacht Selbstauflösung der letzten Volkssturmeinheiten
• 20. April 1945:
 - kampfloser Einmarsch der US-Armee
 - eine öffentliche Hinrichtung durch ein „Fliegendes Stangericht“

Ausgangslage

Einwohnerzahlen:
1939: 13.812
1946: 17.480
1954: 19.160
1955: 19.114
1961: 19.260
1968: 18.142
Flüchtlinge und Heimatvertriebene:

• ab 1943: Aufnahme von Evakuierten und Luftkriegsgeschädigten
• bis 31.03.1945: Unterbringung von 1.509 ausländischen Zwangsarbeitern in Gasthöfen und Behelfswohnheimen
• ab Februar/März 1945: Ankunft von Flüchtlingen aus Schlesien
• April/Mai 1945: ca. 500 bis 600 Evakuierte und Flüchtlinge in Selb untergebracht
 - private Einquartierungen
 - Einrichtung von Massenlagern, u.a. in Gaststätten, Schulen, Turnhallen, Fabriken und in ehemaligen Kriegsgefangenen- bzw. Zwangsarbeiterlagern
 - Errichtung eines Durchgangslagers in der Vielitzerstraße
• Entwicklung der Flüchtlingszahlen im heutigen Stadtgebiet:
 - Ende 1945: 5.257 Flüchtlinge
 - 29. Oktober 1946: 3.449 Flüchtlinge
 - Ende 1949: 5.441 Flüchtlinge
• 13. September 1950: 4.691 Heimatvertriebene (18.802 Einwohner insgesamt)

Obdachlose:

ca. 280 Obdachlose

Wiederaufbau

Pläne und Ideen:

• Priorität beim Wiederaufbau auf Unterbringung der Flüchtlinge, da relativ geringe Zerstörung
• 01. Dezember 1945: Aufhebung des Bauverbots und planmäßige Verbesserung der Wohnungsverhältnisse

Umsetzung:

• ab 1945: Ausbau und Erweiterung der Maschinenfabrik Gebr. Netzsch (Entwicklung zu einem mustergültigen Flüchtlingsbetrieb)
• 1945 - 1955: Bau von insgesamt 1.298 Wohnungen in Selb, davon 177 durch den Gemeinnützigen Bauverein errichtet
• 1947:
 - Neugründung des Gemeinnützigen Bauvereins
 - Grundsteinlegung der Siedlung Böttger mit 20 Einfamilienhäusern auf der Kappel
 - Grundsteinlegung zum Bauprojekt Grafenmühlweiler mit 7 geplanten Häusern und 21 Wohnungen
 - Eröffnung der Volkshochschule
• 1947/1948: Neuerrichtung einer Fabrikanlage der Polsterwarenfabrik Christian Baumgärtel
• 1948/1949:
 - Bau von 10 Häusern mit 27 Wohnungen
 - Errichtung eines Wohnhauses mit 16 Wohnungen in der Friedrich-Ebert-Straße durch die Firma Rosenthal
 - Aus- und Umbau des ehemaligen Lokomotivschuppens für Wohnzwecke durch die Stadt
 - Aufstockung der tragfähigen Häuser in der Ludwigstraße und Wohnraumgewinnung durch den Ausbau von Dachstühlen
 - rege Siedlungsbautätigkeit in der „Siedlung Süd“, vornehmlich durch Privatinitiative
 - in der Lessingstraße Wohnungsbauten durch die Deutsche Bundesbahn
 - Entstehen der Gartenhofsiedlung in der Längenauer Straße mit 57 Wohnungen
• 1950er Jahre: Errichtung von über 40 Wohnungen in der Jahnstraße
• 1954: Einweihung der Dr. Franz Bogner Volksschule
• Anfang der 1960er Jahre: Neubau eines Berufsschulgebäudes

Literatur

BERGMANN, Werner: Das Kriegsende 1945 im Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge, Wunsiedel 2005, S. 123 - 128.
HEINRICH, Helmut: Stadt Selb - Große Kreisstadt im Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge, Selb 1976.
LIEBERT, Christian: Unsere Stadt Selb, Holzmühle-Falkenstein 1966.
OKON, Ilse: Die Stadt Selb in der Nachkriegszeit 1945-1949. Zulassungsarbeit zur ersten Prüfung für das Lehramt an Volkshochschulen 1969/II, Pädagogische Hochschule Bayreuth der Universität Erlangen - Nürnberg.
RIEß, Ludwig: Selber Heimatbuch, Selb 1949, S. 365 - 371.
STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR BAYERN 1952. Hrsg. vom Bayerischen Statistischen Landesamt, München 1952, S. 494.
STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR BAYERN 1955. Hrsg. vom Bayerischen Statistischen Landesamt, München 1955, S. 18.
STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR BAYERN 1969. Hrsg. vom Bayerischen Statistischen Landesamt, München 1969, S. 19.

DANK
Für weitere Auskünfte danken wir dem STADTARCHIV Selb.

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