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Ludwig III.

 

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Religion, Bildung und Wissenschaft in der Zeit Prinzregent Luitpolds

 

Religion

Obgleich Prinzregent Luitpold seinen katholischen Glauben öffentlich zeigte – man denke an seine jährliche Teilnahme an der Fronleichnamsprozession in München –, unterstützte er nach seinem Herrschaftsantritt das liberale Ministerium um Johann von Lutz (1826-1890). Dieser vertrat einen klar anti-katholischen Kurs, die bayerische Regierung nahm harte Positionen gegenüber der Kirche und dem politischen Katholizismus ein.
Luitpold sorgte mit einem öffentlichen Schreiben vom 6. Juni 1886 für einen Affront gegenüber der katholisch-patriotischen Opposition, als er davon sprach, dass hohe katholische Würdenträger mit der Lage der katholischen Kirche in Bayern vollkommen zufrieden seien. Dies provozierte heftige Gegenreaktionen und verschärfte den Konflikt, während in Preußen der sogenannte Kulturkampf allmählich zu Ende ging. Sogar aus dem Vatikan gab es im Dezember 1887 eine Gegenreaktion: die Enzyklika „Officio sanctissimo“ von Papst Leo XII., die dem Prinzregenten dezidiert widersprach.

 

Mit seiner Unterstützung des Antikatholizismus von Lutz handelte Luitpold entgegen der herrschenden Stimmung in Bayern, denn sowohl im Landtag als auch im ganzen Land waren Liberale und Verfechter des Kulturkampfes klar in der Minderheit. Ein Grund für Luitpolds Haltung in dieser Frage war sicher die Suche nach Verbündeten im Zuge des schwierigen Machtwechsels von 1886. Hier hatte er Unterstützung von den Liberalen erfahren, während die meisten katholisch-konservativen Kreise die Absetzung Ludwigs II. äußerst kritisch gesehen hatten. Ein anderer Grund aber war der Wunsch Luitpolds, das Staatskirchentum, wie es im Religionsedikt von 1818 festgeschrieben war, zu erhalten.
Genau an diesem Punkt entzündete sich in den folgenden Jahren der Konflikt. Lutz stand einer Änderung des Religionsedikts ablehend gegenüber. Eine Änderung hatten die bayerischen Bischöfe gefordert. Es ging um Fragen des staatlichen Placets, um die Stellung der Altkatholiken sowie um Fragen des Theologiestudiums und des Religionsunterrichts. Die verfahrene Situation führte schließlich zu einem öffentlichen Appell von Papst Leo XIII. an das katholische Volk in Bayern. Noch 1889 fand der erste Bayerische Katholikentag statt – der Beginn der katholischen Volksbewegung. In der Frage der Stellung der Altkatholiken hatte der Landtag auf Antrag des Zentrums den Forderungen der Kirche entsprochen. So beendete Lutz seinen erbitterten Widerstand Anfang 1890 teilweise: Eine Ministerratsentschließung stellte fest, dass die Regierung die Altkatholiken nicht mehr als Teil der katholischen Kirche betrachte. 
Auch wenn vom staatlichen Placet nicht die Rede war, lenkte insgesamt gesehen der Staat ein und näherte sich der katholischen Kirche wieder an. Um 1890 standen neue gesellschaftliche Probleme im Fokus, die nach einer Zusammenarbeit der Lager verlangten.
Allerdings verhinderte Prinzregent Luitpold im Mai, also nur wenige Wochen später, den für den Sommer geplanten Deutschen Katholikentag in München – ein weiterer Affront gegenüber der Kirche, vor allem aber gegenüber der neuen katholischen Volksbewegung. Zentrum und bayerischer Episkopat aber schwiegen dazu, ob des Wunsches, den gerade erst erreichten Zustand nicht zu gefährden.
 
Dauerhaft verbesserte sich das Verhältnis zu den katholisch Konservativen erst mit dem Ende der Regierung Lutz im Mai 1890 und der Übernahme des Ministeriums durch Friedrich von Crailsheim (1841-1926) bis 1903 und dann bis 1912 unter Clemens von Podewils-Dürnitz (1850-1922). Mit der Ernennung Georg von Hertlings (1843-1919) zum Regierungschef 1912 änderte sich die Situation grundlegend, denn nun war erstmals ein katholischer Zentrumspolitiker Vorsitzender des bayerischen Ministerrats. 
 
 
Bildung
Wachsende Staatseinnahmen seit 1882 machten einen Ausbau des Schul- und Universitätswesens sowie eine Förderung der Akademien, Staatssammlungen, Bibliotheken und der Denkmalpflege möglich.
 
Modernisierung und Reform in allen Schularten sorgten bei Kindern aller Kreise für bessere Bildungschancen. In Bayern wurden zahlreiche neue Schulen gebaut oder Schulbauten erweitert. Realschulen und gewerbliche Fach- und Fortbildungsschulen erhielten eine besondere Förderung.
Grundlegende Reformen des Lehrplans wurden im Zuge der 1891 erlassenen Schulordnung für die Höheren Schulen unter Kultusminister Ludwig August von Müller (1890-1895) eingeleitet. Das Schulbedarfsgesetz von 1902 brachte eine bessere materielle Ausstattung der Schulen.
In den Jahren darauf wurden die Zuständigkeiten im Kultusbereich neu geregelt: 1903 entstand die Landesschulkommission als oberstes Kollegium für Volksschulfragen, 1909 wurde die Ministerialabteilung für das Höhere Schulwesen eingerichtet.
1907 wurden die eher technisch als klassisch-philologisch orientierten Oberrealschulen eingeführt und den Gymnasien gleichgestellt. Für die Bildung der Mädchen war 1911 die Schulordnung für die Höheren Mädchenschulen in Bayern ein Meilenstein.
A
uch die Universitäten wurden erweitert und modernisiert. Die Förderung der Technischen Hochschule München entsprach dem Geist der Zeit, neben der traditionellen klassisch-humanistischen die modern-technische Ausrichtung der (Hoch-)Schulen verstärkt zu unterstützen. Die Lyzeen als Ausbildungsstätten des Klerus wurden 1910 in philosophisch-theologische Hochschulen umgewandelt.
Eine der gravierendsten Veränderungen der bayerischen Bildungslandschaft erfolgte 1903: Prinzregent Luitpold öffnete das Studium für Frauen – seine Tochter Therese hatte sich noch autodidaktisch fortbilden müssen, weil ihr das reguläre Studium an der Universität verschlossen gewesen war.
 
 
Wissenschaft
Bayern war zur Zeit Prinzregent Luitpolds auch Heimat bzw. Lehrstätte zahlreicher Wissenschaftler und Forscher. In München waren um die Jahrhundertwende so bedeutende Wissenschaftler wie die Chirurgen Johann Nepomuk (ab 1868 Ritter) von Nußbaum (1829-1890) und Ferdinand Sauerbruch (1875-1951), der Chemiker und Hygieniker Max von Pettenkofer (1818-1901), die Physiker Arnold Sommerfeld (1868-1951) und Wilhelm Conrad von Röntgen (1845-1923), der Chemiker Adolf von Baeyer (1835-1917) und der Staatsrechtler Max von Seydel (1846-1901) ansässig. Röntgen erhielt 1901 den ersten Nobelpreis für Physik, Baeyer 1905 den Nobelpreis für Chemie. Mit ihnen sind richtungweisende Erfindungen wie die Röntgenstrahlen, die moderne Hygienik oder moderne chirurgische Verfahren verbunden.
 
Nußbaum revolutionierte die Augenheilkunde und die Chirurgie, letztere besonders bei Operationen des Bauchraums und des Unterleibs. Außerdem verbesserte er den hygienisch-technischen Operationsablauf.
Sauerbruch, einer der bedeutendsten Chirurgen Deutschlands, war vor allem auf dem Gebiet der Brustkorbchirurgie und der Prothesenherstellung tätig.
Pettenkofer war auf dem Gebiet der Gesundheitstechnik die Koryphäe seiner Zeit: Er führte gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Kanalisation und moderne zentrale Trinkwasserversorgung ein, was München den Ruf einer der hygienischsten Städte weltweit einbrachte. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Pettenkofer das Kreatinin entdeckt, die Grundlage für das Periodensystem der (chemischen) Elemente gelegt und die Kupfer-Amalgam-Füllung für Zähne entwickelt.
Sommerfeld schuf, wie auch Max Planck (1858-1947), Niels Bohr (1885-1962) und Albert Einstein (1879-1955), Grundlagen der modernen Physik durch die Erforschung von Quantenphysik und Relativitätstheorie. Aus der Sommerfeldschule der Theoretischen Physik kamen zahlreiche renommierte Physiker, unter ihnen auch Nobelpreisträger Werner Heisenberg (1901-1976).
Röntgen entdeckte die nach ihm benannten Strahlen, welche die medizinische Diagnostik mittels der Durchleuchtung des Menschen revolutionierten.
Baeyer gelang als Erstem die Herstellung der Farbe Indigo-Blau, später die Farbe der Bluejeans, auf chemischem Wege. In der analytischen Chemie ist sein Name noch heute in der Baeyer-Probe zum Nachweis ungesättigter Kohlenwasserstoffe präsent.
Seydel schließlich war Lehrstuhlinhaber an der Universität München und verfasste Standardwerke zum bayerischen Staats- und Verwaltungsrecht.