Markt Indersdorf, Kloster der Augustinerchorherren – eine Sühnestiftung der Wittelsbacher
Pfalzgraf Otto IV. von Wittelsbach hatte große Schuld auf sich geladen, indem er König Heinrich V. im Jahr 1111 aktiv bei der Gefangennahme von Papst Paschalis II. in Rom unterstützte. Zur Buße machte ihm Papst Calixtus II. die Gründung eines Augustinerchorherrenstifts zur Auflage. Der Pfalzgraf wählte dazu 1120 als Standort die Nikolauskapelle an der Einmündung der Rott in die Glonn in der Nähe der alten römischen Fernstraße, die von Niederbayern über Freising nach Augsburg führte. Ab 1124 wurde hier ein Kloster errichtet und am 26. August 1126, dem Namensfest des hl. Augustinus, eingeweiht. Die ersten sechs Chorherren mit Propst Rupert kamen aus dem elsässischen Reformstift Marbach. Die Regel des hl. Augustinus (354–430), nach der sie lebten, forderte den gemeinschaftlichen Besitz, die besonders festliche Pflege des Gebets und der Liturgie zu bestimmten Tageszeiten, außerdem Fasten, Keuschheit und Gehorsam gegenüber dem Ordensoberen. Zu den Hauptaufgaben der Kanoniker gehörten die Seelsorge in den zum Stift gehörigen Pfarreien, Filialen und Wallfahrten, die Vermittlung von Bildung, die Pflege der Wissenschaften und eine gute Wirtschaftsführung.
Nach Scheyern und Ensdorf war Indersdorf das dritte Hauskloster der Wittelsbacher. 1128 erfolgte die Weihe der neuen Kirche zu Ehren Mariä und der Apostelfürsten Petrus und Paulus durch Erzbischof Konrad von Salzburg. Von dieser ersten Kirche sind heute noch der Grundriss und das romanische Portal erhalten. Die Stiftsgründung wurde 1130 durch König Lothar III. und ein Jahr später auch durch Papst Innozenz II. bestätigt. Dieser unterstellte das Stift dem Bischof von Freising und sicherte ihm die freie Abtswahl und die Verfügung über die Vogtei zu. Als Schutzherren fungierten die Wittelsbacher.
Das Stift verfügte über eine reiche finanzielle Ausstattung. 1130 trat Otto von Indersdorf in die Gemeinschaft ein und überschrieb ihr seine gesamte Hofmark. Weitere Adelsfamilien aus der Region machten dem Kloster in der Folgezeit eine Reihe von Schenkungen, um Grabstätten, Jahrtage und Pfründe zu erhalten. Eine herausragende Persönlichkeit aus der Frühzeit des Indersbacher Stifts ist Bruder Marold, der nach einem heiligmäßigen Leben im Dienst der Armen und Kranken 1172 starb und selig gesprochen wurde. 1173 schloss sich Pfalzgraf Friedrich von Wittelsbach, der zweite Sohn des Gründers, als Laienbruder den Augustinern an und hinterließ ihnen nach seinem Tod ein beträchtliches Vermögen. Sieben weitere Mitglieder des Fürstenhauses wählten die Stiftskirche als Grablege.
Da 1255 bei der Landesteilung die Glonn als Grenze zwischen Ober- und Niederbayern festgelegt wurde, gehörte das südlich des Flusses gelegene Kloster bis 1505 zu Oberbayern, das nördlich gelegene Hofmarkdorf, in dem die Arbeiter, Handwerker und Klosterbediensteten wohnten, war dagegen ein Teil Niederbayerns. Diese Trennung ist noch heute erkennbar, da der Klosterbezirk vom älteren Markt nördlich des Flusses deutlich abgesetzt ist. 1247 legte ein verheerender Brand alle Gebäude in Schutt und Asche. Das Kloster, dessen Archiv gerettet werden konnte, entstand unter Propst Ulrich I. (reg. 1264–1273), der große Schenkungen erhalten hatte, umfangreicher als zuvor; die Stiftskirche wurde damals in ihrer heutigen Form als dreischiffige Pfeilerbasilika errichtet.
Unter Propst Konrad II. (reg. 1306–1355) erhielt das Kloster Förderung durch Kaiser Ludwig den Bayern und erlebte eine erste Blütezeit. 1330 kam es in den Besitz der Niederen Gerichtsbarkeit. Doch während der allgemeinen Klosterkrise um die Wende zum 15. Jahrhundert verfiel auch in Indersbach die Disziplin zusehends, was 1412 in einem Totschlag infolge von Geldstreitigkeiten unter den Chorherren gipfelte. Wenige Jahrzehnte später sollte sich das Stift jedoch zu einem Musterkloster entwickeln, nachdem es die von Herzog Albrecht III. (reg. 1438–1460) forcierte Raudnitzer Reform erfolgreich übernommen hatte. Die Pröpste Erhard (reg. 1412–1442) und Johann Rothuet (reg.1442–1470), ein Brüderpaar, sorgten nicht nur für die strenge Einhaltung der Ordensregeln im eigenen Haus, sondern bewirkten durch die Entsendung der Chorherren in über 20 Klöster und Stifte auch die erfolgreiche Ausbreitung der Bewegung. Das Stift wurde damit zum Zentrum der Raudnitz-Indersdorfer Klosterreform. Seit dem Spätmittelalter verzichteten die Augustinerchorherren vielfach auf Vikare und leisteten die Seelsorge, Predigt und Liturgie in den Pfarrkirchen und Filialen der Umgebung selbst. Zum Studium stand den Kanonikern eine umfangreiche Bibliothek mit rund 400 Handschriften zur Verfügung. Mitte des 15. Jahrhunderts bestanden bereits zwei Schulen, neben der für den Klosternachwuchs auch eine „Schola exterior“ für die Pfarreikinder.
Um 1432 hat man die Stiftskirche nach gotischem Zeitgeschmack umgestaltet; die Seitenschiffe wurden verkürzt, die Decken eingewölbt, die Rosenkranzkapelle und ein zweiter Turm (Südturm) kamen hinzu. Bis zum Ende des 15. Jahrhundert konnte der Grundbesitz des Klosters erheblich vergrößert werden. 1496 erfolgte der Kauf von Weingärten bei Krems in der Wachau. Einem erneuten Verfall der Klosterdisziplin ab Mitte des 16. Jahrhunderts begegnete man, indem die Pröpste Paulus Krätz (reg. 1545–1572) aus Stift Beuerberg und Albert Eisenreich (reg. 1573–1585) aus Stift Polling mit einigen Kanonikern nach Indersdorf versetzt wurden, um dort für Ordnung zu sorgen.
Das 500-jährige Gründungsjubiläum 1626 wurde mit großen Festlichkeiten begangen. Es handelte sich dabei um eine der ersten Jubiläumsfeiern dieser Art in einem bayerischen Kloster. 1630 führte Propst Johann Karl die Rosenkranzbruderschaft ein. Zwei Jahre später erlitt Indersdorf die erste Plünderung durch die Schweden. Im weiteren Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs hatte das Stift hohe Verluste und einen beträchtlichen Schaden durch Zerstörungen und Seuchen zu ertragen. Der Großteil der Bevölkerung wurde dahingerafft; das Gebiet war danach völlig verödet. Erst mit Einwanderern aus Tirol, Kärnten, der Steiermark und Baden konnte man die verlassenen Höfe wieder in Betrieb nehmen. Unter Propst Georg Mall (reg. 1673–1693) besserten sich die Verhältnisse. Er ließ die Annakapelle und die Chorscheitelrotunde errichten. Vor allem aber sorgte er für einen neuen Hochaltar, ein Prunkstück altbayerischer Altarbaukunst mit zweigeschossigem Aufbau und Gemälden des kurfürstlichen Hofmalers Johann Andreas Wolf (1652–1716). Malls Nachfolger Dominicus Vent veranlasste den Neubau des Konvents mit den um zwei Höfe gelagerten dreistöckigen Gebäuden und zwei prunkvollen Refektorien. Der im Kern gotische Kreuzgang und die alte Nikolauskapelle (1096 erbaut) wurden in die neue Anlage einbezogen. Die aufwändige Rokokoausstattung der Stiftskirche erfolgte unter dem kunstsinnigen Propst Gelasius Morhardt (reg. 1748–1768). Er legte auch eine bedeutende physikalisch-mathematische Sammlung an, sorgte für die beträchtliche Vergrößerung der naturwissenschaftlichen Fachbibliothek und ließ auf dem unteren Klostertor eine Sternwarte errichten. Mitte des 18. Jahrhunderts besaß das Stift eine eigene Druckerei, in der vor allem liturgische Werke publiziert wurden. Propst Morhardt verfasste auch eine Klosterchronik mit vielen Kupferstichen, die Aussehen und Ausstattung der Stiftsgebäude dokumentieren (siehe Abbildungen).
Mit seinem Grundbesitz, der über vierhundert Anwesen in der näheren Umgebung umfasste, stellte das Stift einen beachtlichen Wirtschaftsfaktor in der Region dar. Der Personalstand des Stifts lag damals zwischen 29 (1740) und 20 (1783) Chorherren. 21 Pfarreien und Filialen wurden von Stift Indersdorf aus betreut. Viele Kirchen der Umgebung verdanken ihre barocke Erneuerung den Augustinern. Dazu gehören beispielsweise St. Dionysius und die Wallfahrtskirche St. Wolfgang in Pipinsried sowie die Kirchen in Asbach, Ainhofen, Glonn, Indersdorf, Ottmarshart und Albertsbach. Durch die großen Ausgaben stieg die Schuldenlast, doch der neue Kurfürst Karl II. Theodor (reg. 1777–1799 aus dem Haus Pfalz-Neuburg nahm darauf keine Rücksicht und erhöhte beständig die Steuerlast. In der Amtszeit von Propst Johann Sutor erreichte der Kurfürst 1783 mit päpstlicher Genehmigung die Auflösung des Stifts. Die umfangreichen Güter des Klosters im Wert von einer Million Gulden (laut Backmund, S. 95) ließ der Kurfürst dem Münchner Liebfrauenstift einverleiben. Durch diesen Schachzug war der Hofklerus finanziell versorgt. Ein Jahr später zogen die Salesianerinnen in Indersdorf ein. Sie hatten ihr St.-Anna-Kloster in München verlassen müssen, weil es von Kurfürstin Kurfürstin Maria Anna von Sachsen (1728–1797), der Witwe von Kurfürst Max III. Joseph, für ein neues Damenstift benötigt wurde. Einige Chorherren, die ihren neuen Wohnsitz im heutigen Pfarrhaus hatten, übernahmen die Seelsorge der Schwestern. Der letzte Chorherr in Indersbach starb 1837. Viele Grabplatten in der ehemaligen Stiftskirche und jetzigen Pfarrkirche Maria Himmelfahrt sowie im Kreuzgang und in der Nikolauskapelle erinnern noch heute an das Wirken der Kanoniker und die Wohltäter des Stifts. Die wertvollen Gerätschaften aus der naturwissenschaftlichen Sammlung kamen im 19. Jahrhundert an das Gymnasium nach Straubing. Nachdem die Salesianerinnen 1831 nach Dietramszell übersiedelt waren, wurde das Kloster erst ab 1856 wieder durch die Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul dauerhaft genutzt. Der Orden richtete in den Gebäuden eine Erziehungsanstalt für Waisenkinder ein und widmete sich in der Folgezeit vor allem der Mädchenausbildung. 1987 übernahm die Erzdiözese von München und Freising die bestehende Mittelschule. Der Heimatverein Indersdorf, der in seiner Arbeit das kulturelle Erbe des Stifts weiterführen will, zeigte im Jahr 2000 eine umfangreiche Ausstellung zur Geschichte und Bedeutung der Augustinerchorherren von Indersdorf im Kreuzgang der Anlage. Für Herbst 2014 ist die Eröffnung des Augustiner-Chorherrn-Museums im ehemaligen Kloster geplant.
Christine Riedl-Valder
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http://www.kirchenundkapellen.de/kirchenko/indersdorf.php