Dietramszell


 

GESCHICHTE
Dietramszell ? Augustinerchorherren unter benediktinischer Oberhoheit

Am 7. April 1107 bestätigte Papst Paschalis II. dem Propst Dietram die Gründung einer dem hl. Martin geweihten Klause - später Dietramszell - auf Veranlassung des Abts Udalschalk auf Grundbesitz des Klosters Tegernsee. Die Gründungsgeschichte von Dietramszell lässt sich aber nicht mit Gewissheit klären. Nach dem Inhalt einer gefälschten Urkunde für das Jahr 1102 soll Abt Udalschalk das ?Neue Kloster? (so nannte man Dietramszell bis ins 18. Jahrhundert) gegründet und dort die Regel des hl. Augustinus eingeführt haben. Die Wahl des Propstes sollte den Chorherren zustehen, die Amtseinsetzung (Investitur) und die Ausstattung mit Gütern und Rechten (Temporalien) aber durch den Tegernseer Abt erfolgen.Nach der Geschichtsschreibung des Stifts Dietramszell hatten sich im Jahr 1098 der Priester Dietram und seine Gefährten Otto und Berenger als Einsiedler in den Wald bei Eglingerfurt zurückgezogen, jedoch nach zwei Jahren die Klause wegen Wassermangels verlassen. Der Platz für eine neue Niederlassung wurde den Waldbrüdern von Abt Udalschalk zur Verfügung gestellt und die Dietramszelle als ein Eigenkloster von Tegernsee geführt.

Auf jeden Fall war die Existenz des Augustinerchorherrenstifts bis zum Jahr 1703 von der Oberhoheit der Abtei Tegernsee geprägt. Um sich dem mächtigen Benediktinerkloster zu entziehen, ließen die Chorherren von Dietramszell bis ins 13. Jahrhundert bischöfliche und päpstliche Urkunden fälschen. Zur Bekräftigung seiner Eigenart als Regularklerikerstift und zur Abgrenzung zu den Tegernseer Mönchen suchte der Konvent von Dietramszell die Unterstützung des Stifts Rottenbuch, dem Zentrum der Augustinerchorherren in Bayern. Auch Bischof Otto I. von Freising (reg. 1138-1158) unterstützte Dietramszell in dem Bestreben nach Eigenständigkeit. Die Position des Konvents wurde aber erst nach 1173 durch ein Schutzprivileg Papst Alexanders III. gestärkt, in dem Tegernsee nicht erwähnt und dem Stift das direkte Appellationsrecht an die Kurie zugestanden wurde. Zugleich findet sich in dieser Urkunde erstmals der Name Dietramszell.

Im 14. Jahrhundert erwarb Dietramszell eigenen Grundbesitz und erhielt außerdem 1330 von Kaiser Ludwig dem Bayern das Recht der niederen Gerichtsbarkeit über seine Untertanen und deren Güter. Auch eine eigene Schule existierte bereits. Daneben wurden dem Stift die Pfarreien Dietramszell und Thankirchen (1358) inkorporiert, später kamen Endlhausen und Martinsried hinzu. Die Entwicklung von Dietramszell wurde im 15. Jahrhundert durch die vom Stift Indersdorf ausgehende Ordensreform zur Wiederbelebung des Ideals strenger Armut und seelsorgerischer Tätigkeit der Kanoniker geprägt. Der Konvent schloss zu diesem Zweck Verbrüderungen mit anderen reformfreudigen Chorherrenstiften wie Rottenbuch und Rohr.

Im 16. und 17. Jahrhundert befand sich Dietramszell in einer langen Phase des Niedergangs, verursacht durch Misswirtschaft, Verschuldung, fehlende Ordenszucht, die Einflüsse der reformatorischen Bewegungen und nicht zuletzt den Dreißigjährigen Krieg. Demgegenüber stand die Förderung lokaler Wallfahrten und eine verstärkte seelsorgerische Tätigkeit der wenigen verbliebenen Chorherren. Außerdem erreichte Propst Marcellin Obermayr 1695 den Anschluss des Stifts an die Lateranensische Kongregation. Dennoch veranlasste die Situation in Dietramszell den Kurfürsten Max Emanuel seit 1696 die Aufhebung des Stifts zu planen, was aber durch den gemeinsamen Protest anderer Chorherrenstifte sowie des Mutterklosters Tegernsee verhindert werden konnte.

Das 18. Jahrhundert brachte Dietramszell einen neuen Aufschwung. 1703 erreichte das Stift durch einen Vertrag mit Tegernsee das Recht auf einen eigenen Klosterrichter und fortan musste esauch seine Rechnungen nicht mehr dem Abt von Tegernsee zur Kontrolle vorlegen. Der Stiftspropst wurde jedoch weiterhin unter Beteiligung des Mutterklosters und des Freisinger Bischofs gewählt. Die verbesserten Beziehungen zu Tegernsee wurden außerdem durch eine gemeinsame Allianz auf eine neue Grundlage gestellt. Die Blüte des Stifts äußerte sich nicht zuletzt im Anwachsen der Mitgliederzahl, die 1754 mit 19 Konventualen ihren Höchststand erreichte. Die Chorherren waren nach der Auflösung des Jesuitenordens vielfach als Lehrer an Gymnasien und Volksschulen tätig. Trotz der geringen finanziellen Mittel des Stifts entstand ab 1717 auch erstmals eine gemauerte Klosteranlage. Im Stil des Rokoko wurde bis 1741 die Stiftskirche Maria Himmelfahrt fertig gestellt. In ihrem Deckenfresko ist die Gründungsgeschichte um den Priester Dietram abgebildet. Ebenfalls neu erbaut wurden die Pfarrkirche St. Martin und die nahe gelegenen Wallfahrtskirchen St. Leonhard und Maria Elend.

Die seit 1799 betriebenen Vorbereitungen des Kurfürstentums Bayern zur Aufhebung der Stifte und Klöster erfassten auch Dietramszell. Im März 1803 wurde das Stift aufgelöst, sein Vermögen vom Staat in Besitz genommen und die Bibliotheksbestände, Musikalien und Gemälde nach München abtransportiert. Ein Teil der Stiftsgebäude wurde den Klarissen vom Münchner Angerkloster übergeben, ein anderer ging in den Privatbesitz der Familie von Schilcher. 1831 übersiedelten Salesianerinnen von Indersdorf in einen Trakt des Klosters. Erst 1958 erwarben die Salesianerinnen auch den Süd- und Westflügel von der Familie Schilcher. Neben dem Konvent der Salesianerinnen, die mit Konzerten, Ausstellungen, Führungen und Vorträgen einen Zugang zu dem Klosterkomplex ermöglichen, sind in der Klosteranlage seit 1962 eine Volksschule und seit 1991 eine Montessori-Schule untergebracht.

(Stephanie Haberer)



 

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AUS DEM HDBG-MEDIENARCHIV
Gruppenbild zur Gerichtsbarkeit des Chorherrenstifts Dietramszell, Ölgemälde, 18. Jh., Dietramszell, ehem. Aug.-Chorherrenstift.
Copyright: Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg (Voithenberg, G.)

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