Thyrnau


 

GESCHICHTE

Thyrnau, Zisterzienserinnenabtei St. Josef – Kunstvolles Stickereihandwerk im Dienst der Kirche

Die 1245 in Rathausen (Schweiz) gegründete, 1848 aufgehobene und seit 1876 im französischen Vèzelise (bei Nancy) ansässige Klostergemeinschaft der Zisterzienserinnen musste 1901 aufgrund der antiklerikalen Gesetzgebung Frankreich verlassen. Prinzregent Luitpold von Bayern bewilligte den Zisterzienserinnen am 13. Februar 1902 eine selbstständige klösterliche Niederlassung in Bayern. Die Nonnen fanden kurz darauf mit Unterstützung des Passauer Dompropstes, Landtags- und Reichstagsabgeordneten Dr. Franz Seraph von Pichler im ehemaligen fürstbischöflichen Jagdschloss in Thyrnau eine neue Heimat. Äbtissin Juliana Füglister zog bereits am 12. März desselben Jahres mit fünf Schwestern hier ein. Das neue Kloster wurde unter den Schutz Mariens und Josefs gestellt. Spiritual P. Ölazidus Theiler feierte am 2. August in dem zur Kapelle umgebauten ehemaligen Festsaal die erste Heilige Messe. Ab Mitte Oktober 1902 war der Konvent mit 19 Chorfrauen und 12 Laienschwestern vollzählig in Thyrnau versammelt und hatte bereits erste Aufträge zur Paramenten- und Fahnenstickerei zu bearbeiten. Die erste kanonische Visitation durch den Passauer Bischof Dr. Antonius von Henle, unter dessen Jurisdiktion das Kloster anfangs stand, erfolgte im Juli 1903. Im folgenden Jahr eröffneten die Schwestern eine „Kleinkinder-Bewahranstalt“ (Kindergarten, 1956 geschlossen), eine „Arbeitsschule“ für Mädchen und übernahmen den Handarbeitsunterricht an der örtlichen Volksschule. Ab 1905 betrieb das Kloster eine Suppenanstalt für die Schüler der umliegenden Ortschaften. Daneben verwalteten die Schwestern die zum Hofgut gehörige Landwirtschaft mit 23 Hektar Grund, Milchwirtschaft und Schweinezucht. Die zahlreichen Neueintritte machten 1910 den Neubau eines Zellentraktes notwendig. Er wurde an der Westseite des Schlosses errichtet. Vier Jahre später, am 22. April 1914, weihte der Passauer Bischof Sigismund Felix, Freiherr von Ow-Felldorf, die neubarocke Klosterkirche mit dem Patrozinium „Aufnahme Mariens in den Himmel“ ein. Nach 29-jähriger Amtszeit starb Äbtissin Juliana 1919. Der Konvent zählte bei ihrem Tod 52 Schwestern.

Unter ihrer Nachfolgerin M. Juliana Meier ging während der Inflationszeit 1922/23 das ganze Vermögen des Klosters verloren. Aufgrund ihre alten Schweizer Klosterprivilegien, die den Schwestern 1925 per Dekret bestätigt wurden, erfolgte die feierliche Erhebung des Klosters zur Abtei und die Angliederung an die Mehrerauer Kongregation. 1929 beschloss der Konvent, den Orden bei der Gründung eines Zisterzienserinnenklosters in Bolivien personell zu unterstützen und schickte die ersten drei Schwestern in die Mission. Daraus entwickelte sich das Tochterkloster Apolo, das mittlerweile ganz von einheimischen Schwestern geführt wird.

Der Stickereibetrieb wurde in den Folgejahren ausgebaut. Schwester Agatha Nieder legte 1938 als erste die handwerkliche Meisterprüfung in diesem Fach ab. Im folgenden Jahr ließ das Kloster seine Stickerei, die damals zu den größten Firmen ihrer Art in Deutschland gehörte, in die Handwerksrolle eintragen. Während der Herrschaft der Nationalsozialisten wurde die Mädchenschule geschlossen; die Stickerei durfte ab 1943 keine kirchlichen Aufträge mehr bearbeiten. Die Aufnahme von Novizen wurde verboten. Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten die Schwestern in den umliegenden Lazaretten. Das 700-jährige Gründungsjubiläum des Klosters Rathausen-Thyrnau verlief 1945 in aller Stille. Bei der Wahl von Sr. M. Ludwigis Baumgartner zur Äbtissin im Jahr 1949 zählte der Konvent 22 Chorfrauen, drei Novizinnen und 23 Laienschwestern. 1953 wurde im Garten zwischen Zellentrakt, Kirche und Schlossgebäude ein Wandelgang errichtet. Der Betrieb der Stickerei vergrößerte sich zusehends. Auch weltliche Jugendliche konnten nun hier die Lehre absolvieren; 1954 legten sechs Schwestern erfolgreich ihre Gesellenprüfung im Stickereihandwerk ab. Seit 1955 war die Abtei ganz in den Orden integriert und nur noch der Jurisdiktion des Vaterabtes der Abtei Marienstatt (im Westerwald) unterworfen. Im gleichen Zeitraum begannen die Schwestern eine Reihe neuer Aktivitäten: Exerzitien für die Bevölkerung, Ferienbetreuung für Schüler, hauswirtschaftliche Winterkurse (bis 1969) und eine ganzjährige Hauswirtschaftsausbildung für Mädchen.

1961 wurde die Klosterkirche renoviert und der Nonnenchor vergrößert. Das ehemalige Dienstbotenhaus, in dem die Teilnehmerinnen des Winterkurses gewohnt hatten, wurde später zum Gästehaus umgebaut. Beim Amtsantritt von Äbtissin M. Mechtildis Wieth 1970 bestand der Konvent aus 38 Schwestern. Unter der neuen Leitung erfolgte ab 1973 eine Generalsanierung der gesamten Anlage und die Feier zum 75-jährigen Bestehen des Klosters in Thyrnau. Im landwirtschaftlichen Betrieb wurde 1975 die Bullenmast eingeführt (1999 durch Schweinemast ersetzt). Bei der Wahl von Sr. M. Caritas Baumgartner zur Äbtissin 1982 zählte die Gemeinschaft 29 Schwestern. 1987 tagten die deutschsprachigen Äbtissinnen des Ordens in Thyrnau; 1991 traf sich hier das Kapitel der Kongregation. Anlässlich einer ab 1989 durchgeführten Kirchenrenovierung schuf der aus dem Böhmerwald stammende Bildhauer Leopold Hafner einen neuen Ambo und einen Zelebrationsaltar, in den Reliquien des Ordensgründers Bernhard von Clairvaux eingefügt wurden. Eine neue Orgel fertigte die Passauer Werkstatt Eisenbarth. Die feierliche Weihe erfolgte durch den Passauer Bischof Franz Xaver Eder am Fest des hl. Bernhard, dem 20. August 1990. Das Kloster betreibt gegenwärtig neben der Stickereifachschule noch das Gästehaus und die große Ökonomie. 2015 gehörten 14 Zisterzienserinnen zum Konvent.

(Christine Riedl-Valder)

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