Jüdisches Leben
in Bayern

Aschaffenburg Gemeinde

In Aschaffenburg sind ab Mitte des 13. Jahrhunderts Juden nachweisbar: Zu dieser Zeit stand ein ansässiger Rabbiner namens Abraham im Austausch mit Meir ben Baruch, auch belegen Eintragungen im Totenbuch des Stifts St. Peter und Alexander für 1267/68 die Existenz einer Gemeinde (Kehillah). Im Jahr 1293 wird in Frankfurt der Geschäftsmann "Salman von Aschaffenburg" aktenkundig. Im 14. Jahrhundert folgen weitere Belege für Kredite und Steuerleistungen. Eine jüdische Schule bzw. Synagoge stand bereits vor 1345 an der Hauptstraße (heute Dalbergstraße 35) und war so bekannt, dass sie auch Christen als Wegweiser diente: "Proxime apud Synagogam Judaeorum". Spätestens ab 1354 besaß die Gemeinde ein frei stehendes Ritualbad neben einem Weiher.

Gemäß dem Nürnberger Memorbuch wurde die jüdische Gemeinde in Aschaffenburg ein Opfer der Armlederverfolgung 1337, sowie den Pestverfolgungen 1348/49. Danach vertrieb man die letzten verbliebenen Juden, ihr Besitz fiel an das Mainzer Hochstift. Jedoch hatten sich im Jahr 1359 bereits zwei neue kurmainzer Schutzjuden in der Stadt niedergelassen. Ihnen folgten weitere Familien, die sich erneut am Marktbezirk zwischen der Metzgergasse und der Dalbergstraße ansiedelten. Früher waren die Wohhäuser noch ihr Eigentum, jetzt mussten sie eine jährliche Pacht entrichten.

Bis ins 15. Jahrhundert warb das verschuldete Erzstift um weitere Schutzjuden, um damit zusätzliche Einkünfte zu erzielen. Im Jahr 1429 jedoch ließ Erzbischof Konrad III. von Dhaun (reg. 1419–1434) an mehreren Orten seines Territoriums, darunter auch in Aschaffenburg, jüdische Männer, Frauen und Kinder einkerkern und ihr Vermögen einziehen. Den Grund dafür lieferten vermutlich säumige Zahlungen der Betroffenen. Im selben Jahr kam es im ganzen Kurfürstentum Mainz zu antijüdischen Ausschreitungen, bei denen wohl auch die Synagoge beschädigt wurde. Unter Bischof Adolf II. von Nassau (reg. 1461–1475) folgte 1470 die zweite Ausweisung, die rund hundert Jahre gültig blieb. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab es wieder vermehrt jüdisches Leben in der Stadt. Zu dieser Zeit wirkte der Gelehrte Simon ben Isaac Halevi in Aschaffenburg, Verfasser des "Devet ktov" (1588) und der "Masoret HaMikra" (1572).

Bis 1570 durften sie ihre Toten auf dem jüdischen Friedhof in Frankfurt a.M. (Hessen) zur letzten Ruhe betten. Danach war dieser Begräbnisort für Juden außerhalb Frankfurts gesperrt. Über die Größe der Aschaffenburger Gemeinde ist bis zum 17. Jahrhundert nichts Näheres bekannt, bis zum 19. Jahrhundert blieb sie jedenfalls dem Landesrabbinat des Erzstifts Mainz unterstellt.

Im Lauf der nächsten hundert Jahre siedelten sich in Aschaffenburg 15 jüdische Familien an. Da sie mit Vieh und Pferden handelten, pachteten sie Weideflächen rund um die Stadt. Wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Verstöße gegen das sonntägliche Handelsverbot kam es immer wieder zu Konflikten mit der Obrigkeit. Der "Judenfriedhof am Erbig" wird 1715 erstmals urkundlich erwähnt. Er befindet sich heute im Stadtteil Schweinheim, lag damals jedoch noch ein Stück außerhalb der Besiedelung. Es ist nicht bekannt, wann seine Anlage erfolgte und wo die jüdischen Beerdigungen zwischen 1570 und dem 18. Jahrhundert stattgefunden hatten. 1718/19 wurde dieser Totenacker mit einer Mauer gesichert, die jedoch schon nach kurzer Zeit schwere Beschädigungen aufwies. Im Jahr 1755 beschädigten zwei Aschaffenburger Bürger die Mauer und schändeten einige Grabsteine. Der Magistrat verurteilte sie dafür zu zwei Tagen Haft und die Übernahme der Reparaturkosten. Nach der Gründung der Chevra Kadischa (Beerdigungsbruderschaft) "Bikkur Cholim" diente der Totenacker ab 1719 als Bezirksfriedhof für die Gemeinden in Aschaffenburg, Goldbach-Hösbach, Großostheim, Kleinwallstadt, Mömlingen, Hofstetten, Großwallstadt, Niedernberg und Hausen.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts vergrößerte sich die jüdische Gemeinde Aschaffenburg auf rund 30 Haushalte. Ihren Verdienst erarbeiteten sie sich zu jener Zeit mehrheitlich durch den Handel mit Tuch-, Seiden- und Galanteriewaren, mit Geld- und Maklergeschäften und als Hoffaktoren. Als der Friedhof 1773 erneut das Ziel eines schweren Anschlags wurde, bei dem man sogar Leichname in ihren Gräbern schändete, stellte die jüdische Gemeinde auf eigene Kosten einen Stadtsoldaten zur Bewachung an.

Unter dem Einfluss der Aufklärung strebte Kurbischof Friedrich Carl Joseph von Erthal (reg. 1719–1802) die Gleichberechtigung von Christen und Juden an. Mit einer neuen Verordnung gewährte er seinen Schutzjuden 1784 mehr Rechte und gestattete ihnen endlich den Erwerb von Grundbesitz. In einem Nachbargebäude der Synagoge (Hausnummer 89 ½, später Treibgasse 20) wurde 1788 eine jüdische Schule eingerichtet, das Erdgeschoss diente ab 1797 als "Hospital" für durchreisende sog. Betteljuden.

1803 entstand als Ergebnis des Reichsdeputationshauptschlusses das Fürstentum Aschaffenburg unter Erzbischof Carl Theodor von Dalberg (reg. 1803–1817). Der Aschaffenburger Rabbiner war seitdem nicht mehr vom Mainzer Landesrabbinat abhängig, sondern in allen Angelegenheiten weisungsbefugt und führte ein eigenes Distriktsrabbinat. Juden konnten in der Stadt nun eigene Ladengeschäfte führen und wenig später auch Handwerksberufe ausüben.

Die jüdische Gemeinde erwarb 1805 das "Vorburgische Haus", ein ehemals bischöfliches Gebäude an der Ecke Treibgasse / Entengasse, das neben der Synagoge lag. Auf dem Grundstück ließ sie nach einem Entwurf des Mainzer Architekten Peter Jung ein neues Rabbinerhaus errichten. In diesem klassizistischen Neubau wurden die Rabbinerwohnung, Schulräume, ein beheizbares Ritualbad und Räume für die Gemeindebediensteten untergebracht (heute Treibgasse 20). Jüdische Kinder besuchten ab 1811 öffentliche Schulen teil; Religionsunterricht erhielten sie weiterhin getrennt. Als Aschaffenburg 1814 zu Bayern kam, erlangte das Judenedikt auch hier seine Gültigkeit. Es wurde vom Magistrat jedoch möglichst restriktiv ausgelegt. Dalbergs ehemaliger Hoffaktor, der Farben- und Leimfabrikant Alois Joseph Dessauer (1763–1850), etablierte sich im Aschaffenburger Großbürgertum und gründete die Zeitung "Allgemeine Staatskorrespondenz". Von 35 Familien (1803) vermehrte sich die jüdische Bevölkerung auf 53 Familien (1848) und zählte zuletzt über 600 Personen (1900).

In der Stadt herrschte vom 19. bis ins 20. Jahrhundert ein reges jüdisches Gemeinde- und Vereinsleben: Juden waren in städtischen Ämtern und Gremien vertreten, im lokalen Geschäfts- und Kulturleben sowie im Fürsorgewesen engagiert. Der 1854 gegründete "Israelitische Frauenverein" unterstützte bedürftige kranke Frauen und arbeitete eng mit dem katholischen "Elisabeth-Verein" zusammen. Später schlossen sich beide Initiativen dem "Aschaffenburger Jugendfürsorgeverband" an. Daneben gab es weiterhin die Chevra Kadischa, den Israelitischen Armenverein, den "Verein zur Wahrung jüdischer Interessen", den Talmud-Toraverein, den 1909 gegründeten "Fürsorgeverein für israelitische Nerven- und Geisteskranke", eine Ortsgruppe des "Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" und noch eine Reihe weiterer sozialer Initiativen. Der alte Distriktfriedhof wurde 1885/86 vergrößert, um vor allem den Filialgemeinden des großen Distriktrabbinates Aschaffenburg genügend Platz zu bieten: Eschau, Fechenbach, Goldbach, Großostheim, Hörstein, Kleinheubach, Kleinwallstadt, Klingenberg a.M., Lohr a.M., Miltenberg, Mittelsinn, Bad Orb (Hessen), Röllbach, Schöllkrippen und Wörth. Für die Stadt selbst entstand eine neue Begräbnisstätte direkt neben dem Altstadtfriedhof am Kirchhofweg. Er wurde 1890 eröffnet und 1902 durch ein markantes Taharahaus im Stil des Historismus ergänzt. Neben dem 1893 eingeweihten Neubau der Synagoge entstand auf dem Platz der alten Synagoge bis 1899 zusätzlich ein Rabbinats- und Gemeindehaus mit einer geräumigen Wohnung für den amtierenden Bezirksrabbiner Dr. Gustav Wachenheimer, einem Unterrichtsraum, einem Versammlungssaal für die Gemeinde und einem "aufs comfortabelste" eingerichteten Frauenbad.

1928 zählte die IKG Aschaffenburg über 700 Mitglieder. Schon zwei Jahre zuvor hatte man deshalb mit den Planungen für den Neubau eines zusätzlichen Gemeindezentrums mit Synagoge, Schul- und Verwaltungsräumen begonnen, musste das Vorhaben jedoch aufgrund der schlechten Wirtschaftslage zurückstellen. Es wurde jedoch eine Renovierung der Synagoge durchgeführt, bei der man unter anderem eine Warmluftheizung und ein Beleuchtungssystem einbaute. Die Kultusgemeinde fühlte sich für die 1929 abgehaltene Tagung des "Verbands Bayerischer Israelitischer Gemeinden" gut gerüstet.

Am 9. März 1933 rief die Aschaffenburger NSDAP dazu auf, nur noch in deutschen Geschäften einzukaufen. Die jüdische Bevölkerung wurde in der Folgezeit immer mehr aus dem öffentlichen Leben verdrängt und hatte eine Fülle von Schikanen zu ertragen. Da die jüdischen Kinder die öffentlichen Schulen nicht mehr besuchen durften, bestand seit 1934 auf Initiative von Rabbiner Bloch eine private vierklassige jüdische Volksschule. Feuerwehr, Vereine und andere Institutionen schlossen ihre jüdischen Mitglieder aus. Die Kultusgemeinde entfaltete daraufhin rege Aktivitäten und entwickelte eigene sportliche und kulturelle Angebote für ihre Mitglieder, wurde jedoch darin immer wieder von den aufsichtführenden Behörden schwer behindert. Nachdem die örtliche Presse keine Informationen aus der jüdischen Gemeinde mehr veröffentlichen durfte, verteilte diese eigene Zirkularschreiben an ihre Mitglieder. In ihnen wurden neben allgemeinen Informationen über das Gemeindeleben auch Hinweise zur Auswanderung, zu Umschulungen und Hilfsangeboten veröffentlicht. Die "Israelitische Notdarlehenskasse Aschaffenburg" gewährte Kredite und Beratungen in wirtschaftlicher Notlage.

Während des Novemberpogroms 1938 kam es in der Stadt zu äußerst brutalen Ausschreitungen gegen die jüdischen Mitbürger. In Gegenwart vieler Zuschauer beschädigten, zerstörten und plünderten Mitglieder der SA zahlreiche jüdische Geschäfte und steckten die Synagoge in Brand. Einzelne Juden wurden in ihren Wohnungen überfallen, aufs ärgste terrorisiert und schwer misshandelt. Am Morgen des 10. November verhaftete die Polizei 19 jüdische Männer, hielt sie danach zum Teil monatelang fest und verschleppte sieben von ihnen in das Konzentrationslager Dachau. Nach diesen Ausschreitungen verließen immer mehr jüdische Einwohner die Stadt, u.a. Bezirksrabbiner Dr. Bloch, der nach Palästina auswanderte. Bis zum April 1942 war die Kultusgemeinde auf 193 Personen geschrumpft. Sie mussten auf engstem Raum in einigen "Judenhäusern" leben, darunter das Haus Webergasse 2. Zwischen April und September 1942 führte die Gestapo mehrere Deportationen in die Vernichtungslager durch. 143 Menschen aus Aschaffenburg wurden dort ermordet. Lediglich zwölf der Jüdinnen und Juden entgingen aufgrund ihrer Ehe mit christlichen Lebenspartnern dem sicheren Tod.

Die amerikanische Besatzung ordnete am Platz der ehemaligen, von den Nationalsozialisten zerstörten Synagoge eine Gedenkstätte an. 1947 wurde am Landgericht Aschaffenburg mehreren ehemaligen SA-Männern, die an den Verbrechen in der Pogromnacht aktiv beteiligt waren, der Prozess gemacht. Das jüdische Gemeinde- und Rabbinerhaus wurde nach 1945 Sitz der Stadthauptkasse, später zog das Depot des Stadtarchivs darin ein. Ab 1975 diente es für drei Jahre als Jugendhaus, dann wurde im ersten Stock ein islamischer Gebetsraum eingerichtet. 1987 hat man nach einer grundlegenden Sanierung darin ein Dokumentationszentrum zur jüdischen Geschichte Aschaffenburgs eröffnet. Die Sammlung besitzt u.a. eine dreidimensionale Computerrekonstruktion des Aschaffenburger Synagogenbaus.

Auf dem jüdischen Friedhof in der Altstadt wurden zwei Denkmäler aufgestellt. Eine Bronzetafel aus dem Jahr 1923, die ursprünglich in der Synagoge stand, erinnert an die gefallenen Juden im Ersten Weltkrieg. Auf einer zweiten Tafel ist der Ort vermerkt, an dem 1988 die im Novemberpogrom geschändeten Torarollen rituell bestattet wurden. In Kooperation mit der Initiative DenkOrt Deportationen ergänzt seit 2022 ein steinerner Rucksack die Gedenkstätte vor dem Würzburger Hauptbahnhof, sein Gegenstück wurde neben dem Torbogen des historischen Bahnhofs in einem Schaufenster am Aschaffenburger Busbahnhof aufgestellt. In einer Kooperation mit den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) in Jerusalem werden von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns nach und nach die erhaltenen jüdischen Gemeindearchive – darunter das Gemeindearchiv sowie das Archiv des Distriktsrabbinats Aschaffenburg – digitalisiert, um sie vollständig online zugänglich zu machen.


(Christine Riedl-Valder | Bearb. Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Axel Töllner / Cornelia Berger-Dittscheid: Schöllkrippen. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 9-54.
  • Josef Pechtl: Ehemaliges jüdisches Leben in Aschaffenburg. In: Haus der Bayerischen Geschichte (Hg.): Edition Bayern. Menschen, Geschichte, Kulturraum, Nr. 8: Aschaffenburg und der bayerische Untermain. Augsburg 2012, S. 34f.
  • Carsten Pollnick / Michael Uecke: Aschaffenburg. Gestern - Heute. Gudensberg-Gleichen 2011, S. 14f.
  • Theodor Harburger: Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, hg. von den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, und dem Jüdischen Museum Franken – Fürth & Schnaittach, Bd. 2. Fürth 1998, S. 21.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 207.