Jüdisches Leben
in Bayern

Bad Kissingen Friedhof

Der jüdische Friedhof an der Bergmannstraße Im südöstlichen Teil der Stadt wird 1817 zum ersten Mal erwähnt. Er hat eine Größe von über 5000 qm. Mehr als 400 Grabsteine sind noch erhalten. Der älteste Grabstein stammt von 1819. Das letzte Begräbnis während der NS-Zeit erfolgte 1942. Dann wurden nach 1946 die Begräbnisse wieder aufgenommen. Der Friedhof dient wieder als Begräbnisstätte für die jüdischen Bürger der Stadt und für hier verstorbene Kurgäste.

Wann der jüdische Friedhof an der Bergmannstraße im Südosten der Stadt errichtet worden ist, konnte bisher noch nicht sicher geklärt werden. Das in verschiedenen Quellen angegebene Jahr 1801 ließ sich bis jetzt archivalisch nicht belegen. Ein erster sicherer Nachweis stammt aus dem Jahr 1817, aus dem zwei Urkunden erhalten sind, in denen der Verkauf von Grundstücken am Zückberg bestätigt wird, welche „die Judenschaft zu ihren Begräbnissen“ gekauft habe. Bis zum 19. Jahrhundert fanden die Kissinger Juden vermutlich auf dem Distriktsfriedhof Pfaffenhausen bei Hammelburg ihre letzte Ruhe. Das rasche Anwachsen und der zunehmende Wohlstand der jüdischen Gemeinde in Bad Kissingen machten es dann aber möglich, auch in der Badestadt einen eigenen Friedhof einzurichten. Der älteste erhaltene Grabstein, der 1929 noch zu erkennen war, gehörte zum Grab von Salomon Osaak, dem Sohn des Jecheskiel, der am 24. Juni 1819 starb. Bereits 1876 war eine Erweiterung des Friedhofs geplant, musste aber wegen finanzieller Probleme um einige Jahre vertagt werden. Im Oktober 1890 genehmigte das Bezirksamt die Vergrößerung des Friedhofs und den Bau einer neuen Leichenhalle, die von Bauamtsassessor Spieß in neoromanischen Formen mit drei rundbogigen Arkaden entworfen wurde. Der Bezirksarzt hatte einen Leichensaal mit Platz für drei Tote, ein Zimmer für den Leichenwärter sowie je ein Zimmer für das Waschen der Toten und für die benötigten Hilfsmittel vorgeschrieben. Am 10. Dezember 1891 konnte der von Baumeister Friedrich Abt ausgeführte Bau seiner Bestimmung übergeben werden. Eine weitere Vergrößerung erfuhr der Friedhof an der südlichen Grenze Mitte Februar 1933. Im Mai 1925 und im Mai 1936 wurde der Friedhof zweimal geschändet. Die Täter wurden nicht ermittelt. 1925 brachte der Stadtrat noch sein Bedauern über den Vorfall zum Ausdruck und gewährte der Kultusgemeinde einen Zuschuss von 200 Mark zur Beseitigung des Schadens. 

Am 10. November 1938 war der Friedhof Schauplatz einer beispiellosen Demütigung jüdischer Einwohner und Gäste. Die Kissinger Polizei führte einige der in der Pogromnacht inhaftierten Juden aneinander gekettet durch die Stadt zum jüdischen Friedhof und zwang sie dort, nach vermeintlich „belastendem Material“ zu graben, das sich aber als eine Reihe von Ritualgegenständen herausstellen sollte, die nach orthodoxem jüdischem Ritus auf dem Friedhof beigesetzt worden waren. Unter demütigenden Rufen Kissinger Bürger wurden die Männer, unter ihnen die beiden Söhne des verstorbenen Rabbiners Dr. Seckel Bamberger, Hand an Hand gekettet und wieder ins Gefängnis zurückgeführt.  

Am 25. August 1942 fand mit der Beisetzung Sara Hofmanns das letzte Begräbnis in der NS-Zeit statt. Danach wurde der Friedhof geschlossen. Kurz darauf versuchte die Stadtverwaltung, sich das Gelände unter den Nagel zu reißen. Doch erst Anfang Januar 1945 „kaufte“ die Stadt den Friedhof. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Tahara-Halle dazu missbraucht, 20 russische Kriegsgefangene, die im nahe gelegenen Bahnhof Züge be- und entladen mussten, zusammen mit zwei Wachposten unterzubringen.  

Seit Kriegsende dient der Friedhof wieder als Begräbnisstätte für die jüdischen Bürger der Stadt und für hier verstorbene Kurgäste. Bis Mai 1946 wurden der Friedhof und die Tahara-Halle wiederhergestellt. Einige der in der NS-Zeit zerschlagenen Grabplatten konnten wieder zusammengesetzt und fehlende Grabinschriften durch neue ersetzt werden. Die erste Beisetzung fand 1946 mit der Beerdigung des 1906 geborenen Polen Schloma (Heinrich) Schweizer aus Lodz statt, der vermutlich als DP nach Bad Kissingen gekommen war. 

In der Nacht zum 10. Mai 1994 wurde der Friedhof ein weiteres Mal geschändet. Zwei 14 und 16 Jahre alte Kissinger Schüler drangen in den Friedhof ein, warfen fünf Grabsteine um und beschmierten 14 weitere mit antisemitischen Parolen, Hakenkreuzen und Keltenkreuzen sowie Davidsternen. Im November 1994 mussten sich die beiden Täter, die inzwischen von der Polizei ermittelt worden waren, vor dem Jugendschöffengericht in Bad Kissingen verantworten. Der ältere von beiden wurde zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung und zu 60 gemeinnützigen Arbeitsstunden verurteilt. Gegen den jüngeren von beiden wurden ein Freizeitarrest und 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit verhängt.

Den Friedhof, der 488 Grabstellen aufweist, betritt man durch ein großes Eisentor mit Davidstern. Im linken, unteren Teil findet man zahlreiche alte, leider verfallende Grabsteine mit hebräischen Inschriften, hügelaufwärts eine Vielzahl schöner, neuerer Grabsteine.

Eine Besonderheit des Bad Kissinger Friedhofs stellen unweit der Tahara-Halle die Gräber der drei jüdischen Soldaten dar, die 1866 während der Gefechte des preußisch-österreichischen Kriegs in Kissingen gestorben waren. Am 10. Juli 1866 standen sich preußische und bayerische Truppen in und um Kissingen gegenüber. Die Bilanz der Kämpfe war erschütternd: 244 Soldaten hatten ihr Leben verloren, 1289 waren verwundet worden und 623 Soldaten galten als vermisst. Unter den Toten befand sich auch der 24-jährige preußische Leutnant Jacob Michaelis, der am 10. Juli 1866 tödlich verwundet wurde, „als er nach der Einnahme der Stadt edelmütig die Lazarette vor Feindes- und Freundeswut schützte“ und zehn Tage später seinen schweren Verletzungen erlag. Unklar ist, ob er von Kugeln der eigenen Truppe oder von feindlichen Kugeln getroffen wurde, als er sich zwischen die kämpfenden Parteien begab, um die medizinische Versorgung der Verwundeten in den Lazaretten in der Nähe des Kapellenfriedhofs sicherzustellen. Bis zu seinem Tod wurde er von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde betreut, die sich auch um sein Begräbnis kümmerten. Zum Jahrtag seines Todes ließen seine Regimentskameraden einen repräsentativen Grabstein mit griechischem Hoplitenhelm und antikem Umhang, gesenkter Streitaxt mit gekreuztem Schwert und Löwenkopfknauf errichten. Aus Respekt vor der humanitären Leistung des preußischen Offiziers und vor den christlichen Spendern tolerierte die jüdische Gemeinde offenbar die nicht regelkonforme Gestaltung des Grabsteins.

Etwas oberhalb des Grabes von Michaelis befindet sich die Grabstätte eines unbekannten bayerischen Soldaten. Über der inzwischen stark abgeblätterten hebräischen Inschrift, die seine Tapferkeit würdigt, kann man mit einiger Mühe noch einen bayerischen Helm erkennen. Räumlich etwas von seinem Grab entfernt liegt in der 14. Reihe der preußische Soldat Jacob Halevi Neustätter aus Kobylin (Posen) begraben.

Eine besondere Geschichte besitzt auch das Urnengrab der Familie Ehrlich oberhalb der Taharahalle, das Anlass für eine ungewöhnliche Erweiterung des Friedhofs war. Der streng orthodoxe Rabbiner Dr. Seckel Bamberger, für den eine Feuerbestattung nicht der jüdischen Tradition entsprach, widersetzte sich der Beisetzung der Urne des 1918 verstorbenen Kaufmanns und Stadtrats Felix Ehrlichs auf dem Gelände des Friedhofs. Die Familie Ehrlich erwarb deshalb ein benachbartes Grundstück, ließ dort ihren Verstorbenen begraben und nach einiger Zeit den Zaun zum eigentlichen Friedhof entfernen, so dass das Grab vom Friedhof aus zugänglich wurde.

Ein Beispiel für die in Bad Kissingen verstorbenen Kurgäste ist Michael Nassatisin (1876-1931), ein bekannter russisch-englischer Großindustrieller, Philanthrop und Zionist. Der 1876 im litauischen Schaulen geborene Nassatisin brachte es als Flachs- und Jute-Händler in Wyatko, Moskau und London zu Wohlstand. Er engagierte sich in der Zionistischen Weltorganisation und machte sich auch als Philanthrop einen Namen, Anfang August 1931 starb er während eines Kuraufenthalts in Bad Kissingen mit 54 Jahren. Zunächst wurde er auf dem jüdischen Friedhof in der Bergmannstraße beigesetzt, sein Leichnam aber bereits kurze Zeit später von seinem Neffen Myer J. Liberson nach London überführt.

Zu den prominenten auswärtigen Juden, die auf dem Kissinger Friedhof beigesetzt wurden, zählen auch der Künstleragent Hanns Wolters, der so berühmte Künstler wie Marlene Dietrisch, Sylvester Stalone und F. Murray Abraham entdeckte, und seine Frau, die Schauspielerin und Operettensängerin Mitzi Bera, die ihre letzte Ruhe in zwei Urnengräbern in der Nähe des Ehrlich-Familiengrabs fanden. Mitzi Wolters starb 1985 in Bad Kissingen mit 95 Jahren und wurde hier beigesetzt. Nach seinem Tod im Jahr 2000 ließ sich auch ihr Mann hier beerdigen.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch die Gräber der beiden Kissinger Rabbiner Moses Löb Bamberger (1838-1920) und Dr. Seckel Bamberger (1863-1934), des Bankiers Abraham Löwenthal jr. (1861-1927), des Antiquitäten- und Kunsthändlers David Kugelmann (1847-1924) sowie die Gräber von Josef Weissler (1910-1989), dem Gründer und Vorbeter des jüdischen Betsaals nach dem Zweiten Weltkrieg, des Juweliers und Silberschmieds Simon Rosenau (1839-1920), der die Amtskette des Kissinger Oberbürgermeisters angefertigt hat, und Löb Kissingers (1801-1887), auf den die Kissinger-Linie der weltberühmten Familie Kissinger zurückgeht.

Auf die Verfolgung in der NS-Zeit weisen die Gräber Louis Hofmanns (1871-1933), Hermann Holländers (1878-1938) sowie der Familie Frank hin. Während der Bankier Louis Hofmann im April 1933 in „Schutzhaft“ an einem Gehirnschlag starb, erlitt der 60-jährige Autovermieter Hermann Holländer in der Pogromnacht einen schweren Zusammenbruch bei dem Versuch, seine in Brand gesetzte Garage zu löschen, und verstarb wenige Tage später in der Privatklinik Dr. Katzenbergers. Da alle jüdischen Männer zu diesem Zeitpunkt in „Schutzhaft“ waren, sahen sich die Frauen der Gemeinde gezwungen, ihn entgegen den Grundsätzen der jüdischen Orthodoxie, die die Waschung der Leiche, das Einsargen und Bestatten bei einem männlichen Toten allein Männern erlauben, zu begraben. Die Geschichte der Familie des Viehhändlers Lazarus Frank (1862-1942) und seiner Frau Clara Ansbacher (1863-1936) wurde von W. G. Sebald in dem Erzählungsband „Die Ausgewanderten“ und von Klaus Gasseleder in seinem Buch „Zwei Gesichter“ literarisch verarbeitet. Clara Frank beging 1936 Selbstmord, weil sie die Entrechtung und Ausgrenzung durch das NS-Regime nicht mehr ertragen konnte, ihr Ehemann Lazarus Frank fand 1942 im Ghetto Theresienstadt den Tod.

Vor dem Eingang zur Taharahalle erinnern verschiedene Gedenktafeln an die acht zum Teil noch sehr jungen jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs sowie an einige Opfer der nationalsozialistischen Diktatur (Martha Rosner, Solms und Adele Heymann, Leo Leuthold).


(Hans-Jürgen Beck, Bad Kissingen)

Adresse / Wegbeschreibung

Bergmannstraße 13, 97688 Bad Kissingen

Literatur

  • Lothar Mayer: Jüdische Friedhöfe in Unterfranken. Petersberg 2010, S. 30-33.
  • Michael Trüger: Jüdische Friedhöfe in Bayern (2) [Altenstadt-Illereichen, Walsdorf, Georgensgmünd, Bad Kissingen]. In: Der Landesverband der Israelit. Kultusgemeinden in Bayern 8, Nr. 59 (Mai 1993), S. 19f.
  • Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 39-42.