Themen > Prinzregent Luitpold > Der deutsche Krieg 1866 und die folgenden Reformen

Prinzregent Luitpold

 

Trennlinie 01

Der deutsche Krieg 1866 und die folgenden Reformen

Gebietsverluste des Königreichs Bayern nach dem Frieden von Prag (1866) Geschosse, Granaten und Kugeln aus den Kriegen von 1866 und 1870/71
Karikatur „Nur keine Besorgniß!“ (1866) Schützenscheibe zum Gedenken an die Beschießung der Stadt Würzburg durch preußische Truppen am 27.7.1866 (1868)
Schützenscheibe „Occupation Bayreuths durch die Preussen, am 28. Juli 1866“ (1867) Schützenscheibe „Verteidigung des Friedhofes in Kissingen durch bay. Jäger am 10. Juli 1866“ (1866)
weitere zeigen >


Kriege und Reformen bestimmten den Beginn der Regierung König Ludwigs II. Die Thronbesteigung im März 1864 fiel in die Anfangsphase des deutsch-dänischen Krieges. Bayern war an dieser Auseinandersetzung indirekt beteiligt, als Mitglied des Deutschen Bundes. Mit dem deutsch-dänischen Konflikt 1864 begann eine Serie von drei Kriegen (1864, 1866, 1870/71), welche die Entscheidung über die Gestalt Deutschlands brachten. 1866 führte Preußen gegen Österreich und den Deutschen Bund Krieg. Preußen ging daraus als Sieger hervor. Zu den Besiegten gehörte auch Bayern, das auf der Seite Österreichs und des deutschen Bundes gekämpft hatte. Der Deutsche Bund wurde aufgelöst. Bayern musste mit Preußen ein Schutz- und Trutzbündnis eingehen. Preußen gründete den Norddeutschen Bund und drängte auf den Beitritt der süddeutschen Staaten. Seitdem zeichnete sich die Gründung eines kleindeutschen Nationalstaats unter Ausschluss Österreichs ab.

Die Niederlage Bayerns und seine Annäherung an Preußen verstärkten den Reformdruck im Innern, der von einer veränderten Gesellschaft ausging. Regierung und Landtag in Bayern reagierten mit Gesetzen, die für die Modernisierung von Verwaltung und Justiz, der Wirtschaftsordnung, des Militärs und des Sozialwesens sorgten. Die Kriege und Reformen mobilisierten ihrerseits die bayerische Bevölkerung und die politischen Parteien. Sie sahen eine nationale Einigung heraufziehen, die den Verlust der Unabhängigkeit Bayerns bedeutete.

 

Der deutsch-dänische Krieg von 1864

Bereits während der Revolution von 1848 war es zu einem harten Zusammenstoß des deutschen und des dänischen Nationalismus gekommen. Der Streit ging um die „Elbherzogtümer“ Schleswig und Holstein (mit Lauenburg), wobei Schleswig den eigentlichen Zankapfel darstellte. Holstein, das schon zum Heiligen Römischen Reich gehört hatte, war seit 1815 Teil des Deutschen Bundes. Schleswig dagegen war ein dänisches Reichslehen, hatte aber eine weitgehend deutsche Bevölkerung. Staatsrechtlich bildeten beide Herzogtümer eine Einheit, obwohl sie zwei verschiedenen völkerrechtlichen Gebilden angehörten. Der dänische König war in diesen Elbherzogtümern zugleich Herzog. 1848 versuchte er, aus Schleswig eine dänische Provinz zu machen. Das löste einen Aufstand in den Elbherzogtümern aus, die sich in Kiel eine eigene Regierung gaben und sogar eine Armee aufstellten, die den dänischen Streitkräften allerdings nicht standzuhalten vermochte. Die Frankfurter Nationalversammlung stellte sich hinter die bedrohten Schleswig-Holsteiner, und preußische Truppen sowie Bundestruppen, darunter auch ein bayerisches Kontingent, rückten gegen die Dänen ins Feld. Ein Erfolg blieb ihnen aber verwehrt, denn Dänemark fand Unterstützung bei England, Russland und Schweden. Unter diesem Druck mussten die preußischen und natürlich auch die Bundestruppen die umstrittenen Gebiete räumen. Die beiden Londoner Protokolle von 1850 und 1852 garantierten die Integrität des dänischen Gesamtstaats, bekräftigten aber auch den besonderen Status der Elbherzogtümer und verwehrten eine engere Anbindung Schleswigs an Dänemark.

Mit einer gesamtstaatlichen Verfassung von 1855 versuchte die dänische Krone, die Autonomie der drei unter seiner Hoheit stehenden Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg anzutasten und v.a. Schleswig fest an Dänemark zu binden. Dänemark verstieß damit gegen das Londoner Protokoll von 1852, das den Herzogtümern ihre Autonomie zugesichert hatte. Der Deutsche Bund, dem Holstein und Lauenburg ja als Mitglieder angehörten, drohte 1858 daher dem dänischen König Friedrich VII. (reg. 1848–1863) mit einer Strafexekution. Friedrich setzte daraufhin zwar die dänische Verfassung für Holstein und Lauenburg außer Kraft, nicht jedoch für Schleswig.

Im März 1863 widerrief der neue dänische König Christian IX. (reg. 1863–1909) alle früheren Zusagen. Im November 1863 erließ der dänische Reichsrat eine Gesamtstaatsverfassung, die auch für Schleswig galt, was eine Verletzung des Londoner Protokolls darstellte. Da der Deutsche Bund nun das Strafverfahren gegen Dänemark wieder aufnehmen wollte, beschloss er Ende 1863 eine Bundesexekution gegen Dänemark. Allerdings hatte man die Rechnung ohne Preußen und Österreich gemacht. Sie argumentierten vom völkerrechtlichen Standpunkt aus und besetzten im Februar 1864 Schleswig und Holstein. Den folgenden Krieg gegen Dänemark führte die preußisch-österreichische Allianz erfolgreich. Nach dem Sieg über die dänischen Truppen in Jütland wurde im Oktober 1864 in Wien ein Frieden ausgehandelt. Schleswig, Holstein und Lauenburg wurden an Preußen und Österreich abgetreten.

Der Deutsche Bund hätte nun über die Zukunft der Herzogtümer beschließen müssen. Die deutschen Mittelstaaten, voran Bayern, forderten die Einsetzung Christian Augusts von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (1798–1869), eines Vetters des dänischen Königs. Ihm stand nach dänischem Hausrecht die Erbfolge zu. Preußen und Österreich setzten sich jedoch darüber hinweg. Bismarck und der österreichische Ministerpräsident Alexander Graf von Mensdorff (1813–1871) schlossen in Gastein im August 1865 ein Abkommen. Die bislang gemeinsame Verwaltung der Herzogtümer durch Preußen und Österreich wurde aufgegeben, Preußen übernahm die Verwaltung von Schleswig, Österreich diejenige in Holstein und zunächst auch von Lauenburg, das später an Preußen verkauft wurde.

 

Bayerns Außenpolitik in der zweiten Amtszeit Ludwig von der Pfordtens (1864–1866)

Der Vertrag von Gastein war eine weitere Niederlage für die deutschen Mittelstaaten, die „Trias-Idee“ und die bayerische Regierung mit ihrem Außenminister Ludwig Freiherrn von der Pfordten (1811–1880). Er war Ende 1864 von König Ludwig II. zum Nachfolger von Karl Freiherr von Schrenck-Notzing (1806–1884) berufen worden. Wie schon unter Maximilian II. in den Jahren 1849 bis 1859 leitete von der Pfordten das Außenressort, das Ministerium des Königlichen Hauses und den Ministerrat als dessen Vorsitzender. Unter Ludwig II. bestimmte er mehr noch als unter Maximilian II. den außen- und deutschlandpolitischen Kurs Bayerns. Ludwig II. folgte ihm ohne wesentliche Einmischung.

Von der Pfordten unterschätzte, wie viele Zeitgenossen auch, die Entschlossenheit Bismarcks, die „Deutsche Frage“ unter der Führung Preußens zu klären. Die Berliner Politik war bereit, den Deutschen Bund in der bisherigen Form aufzulösen und Österreich von den deutschen Mittelstaaten abzudrängen, über die dann Preußen die Hegemonie erlangen würde. In München wollte man noch immer zwischen Österreich und Preußen ausgleichen, den Deutschen Bund erhalten und damit auch die Unabhängigkeit Bayerns sichern.

Die bayerische Diplomatie erkannte nach 1864, dass ein Krieg innerhalb des Deutschen Bundes vermieden werden musste, doch konnte von der Pfordten mit seinem widersprüchlichen Taktieren den Konflikt nicht abwenden. Ende August 1865 gab er Bismarck in einer Unterredung in München zu verstehen, dass Bayern die Annexion Holsteins durch Preußen dulden würde, ebenso dessen weitere Ausdehnung in Norddeutschland, sofern die süddeutschen Staaten unangetastet blieben. Demnach hätte Bayern seine traditionellen Parteigänger im Deutschen Bund, Hannover und Sachsen, dem Zugriff Preußens preisgegeben. Gleichzeitig schloss von der Pfordten gegenüber Österreich nicht aus, sich an einer Bundesexekution gegen Preußen zu beteiligen, sollte es zu einer Annexion Schleswigs, Holsteins und Lauenburgs kommen.

 

Der deutsche Krieg 1866

Der Krieg von 1866 entzündete sich vordergründig am Streit Preußens und Österreichs um die besetzten Herzogtümer. Dabei ging es um weit mehr, nämlich um die künftige Machtordnung zwischen Österreich, Preußen und den übrigen deutschen Staaten, mithin um den Fortbestand des Deutschen Bundes. Bismarck bereitete den Krieg vor, indem die Berliner Regierung ein Offensiv- und Defensivbündnis mit dem neuen Königreich Italien schloss. Damit war Österreich im Konfliktfall vom Süden her bedroht.

Im Mai 1866 spitzte sich der Gegensatz zwischen Preußen und Österreich in der Bundesversammlung zu. Die beiden Mächte machten ihre Streitkräfte mobil. Als schließlich Österreich einen neuen Regenten in Schleswig und Holstein einsetzen wollte, besetzte Preußen das österreichisch verwaltete Holstein. Österreich ließ, nach Zustimmung der meisten Mitglieder des Deutschen Bundes, die nicht-preußischen Truppen des Deutschen Bundes aufbieten, um eine Exekution gegen Preußen durchzuführen – zum Schutz der Bundesverfassung. Bayern, Württemberg, Sachsen, Kurhessen und Hannover schlossen sich Österreich an. Preußen trat daraufhin aus dem Deutschen Bund aus.

Die Kriegshandlungen ab Juni 1866 zeigten, wie wenig die Gegner Preußens auf einen Waffengang vorbereitet waren – weder politisch noch militärisch. Den preußischen Truppen gelang es trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit rasch Hannover und Sachsen zu besetzen. Am 3. Juli 1866 brachte das preußische Heer bei Königgrätz in Nordböhmen Österreich die entscheidende Niederlage bei.

Die süddeutschen Kontingente des Bundes, denen die Truppen Bayerns, Badens, Württembergs und Hessens angehörten und die nominell von Prinz Carl von Bayern (1795–1875) befehligt wurden, griffen erst spät in den Krieg ein und kämpften in getrennten Verbänden. Eine einheitliche Strategie war so nicht möglich. Dazu kam die waffentechnische Überlegenheit der Preußen. Die bayerischen Truppen wurden Mitte Juli 1866 im Saaletal geschlagen und zogen sich in den Raum Würzburg zurück. Mit einigen heftigen Gefechten in Unterfranken ging der Mainfeldzug zu Ende, der Preußen einen vollständigen Triumph bescherte.

Preußens Sieg überraschte viele Zeitgenossen. Begründen lässt er sich mit der überlegenen Strategie der preußischen Armeeführung, dem konsequenten Einsatz moderner Waffen und Transportmittel und der fehlenden Koordination zwischen Österreich und seinen Alliierten im Deutschen Bund.

 

Der Friede von Prag und das Ende des Deutschen Bundes

Die Verhandlungen über den Vorfrieden von Nikolsburg Ende Juli 1866 liefen im Wesentlichen zwischen Preußen und Österreich ab. Das neutrale Frankreich hatte einen frühen Waffenstillstand erreicht. Im August 1866 wurde in Prag der Friedensvertrag geschlossen. Preußen sah sich nach dem Sieg am Ziel seiner deutschlandpolitischen Wünsche. Es hatte das Königreich Hannover, Kurhessen, Hessen-Nassau und Schleswig-Holstein annektiert, ebenso die Freie Stadt Frankfurt am Main, den Sitz des Deutschen Bundes, der mit dem Prager Frieden aufgelöst wurde. Ohne den Einspruch Frankreichs wäre selbst das Königreich Sachsen dem Zugriff Preußens zum Opfer gefallen.

Stattdessen wurden die Staaten nördlich des Mains mit Preußen zum Norddeutschen Bund zusammengefasst. Der Bund wurde ganz von Preußen dominiert, seine Mitglieder besaßen weit weniger Eigenständigkeit als zuvor im Rahmen des Deutschen Bundes. Bayern, Württemberg, Baden und Hessen (südlich des Mains) blieben dem Norddeutschen Bund zunächst fern.

Einen Tag vor dem Prager Friedensschluss, am 22. August 1866, unterzeichnete die bayerische Regierung in Berlin ihr Friedensabkommen mit Preußen. Für kurze Zeit hatte Bayern mit erheblichen Gebietsverlusten, vor allem in der Rheinpfalz und in Franken, gerechnet. Tatsächlich aber wurde Bayern weitgehend geschont. Das Bezirksamt Gersfeld und Teile des Landgerichts Orb in Unterfranken sowie die Exklave Kaulsdorf im Thüringischen wurden an Preußen abgetreten. Als Kriegsentschädigung musste Bayern 30 Millionen Gulden an Preußen zahlen, eine für damalige Verhältnisse enorm hohe Kontribution.

 

Die Situation in Deutschland und Mitteleuropa nach 1866

Die vergleichsweise milde Behandlung Bayerns und der übrigen süddeutschen Staaten war das Werk Bismarcks. Während der Norden Deutschlands ganz unter preußische Vorherrschaft geriet, sollten Bayern, Baden, Württemberg und das südliche Hessen zu Preußens Alliierten werden. Hierzu schuf Bismarck Schutz- und Trutzbündnisse mit jedem dieser Staaten. Diese Abkommen waren Bedingung für den Friedensschluss gewesen und schränkten die Souveränität der süddeutschen Staaten erheblich ein. Denn im Verteidigungsfall, so sahen Geheimklauseln in allen Verträgen vor, überließen die süddeutschen Staaten Preußen den Oberbefehl. Als Klammer gab es weiterhin den Zollverein, in dem ebenfalls Preußen das Übergewicht besaß.

Das Königreich Preußen besaß seit 1866 den Norddeutschen Bund als engeren sowie die süddeutschen Staaten als weiteren Kreis von Alliierten – ein abgestuftes System von Macht- und Einflusssphären. Diese Konstruktion ging auf Bismarck zurück, und nur auf ihn. Sie reagierte nicht zuletzt auf die viel weiter ausgreifenden Annexionswünsche König Wilhelms von Preußen und des Kronprinzen Friedrich (1831–1888). Die Hohenzollern hätten ein noch stärker vergrößertes Königreich Preußen lieber gesehen als einen kleindeutschen Staatenbund unter ihrer Führung.

Der preußisch-österreichische Dualismus, die jahrzehntelange Konkurrenz der beiden Großmächte um die Vorherrschaft in Deutschland und Mitteleuropa, wurde mit dem „deutschen Bruderkrieg“ und der Auflösung des Deutschen Bundes 1866 zugunsten Preußens entschieden. Die Habsburgermonarchie nahm ein Jahr später den „Ausgleich“ mit dem ungarischen Reichsteil vor und bestand seither als kaiserlich-österreichische und königlich-ungarische Doppelmonarchie (= k.u.k.-Monarchie Österreich-Ungarn). Ihr gelang es nicht mehr, auf Süddeutschland und die Deutsche Frage wirksamen Einfluss auszuüben. Eine Zusammenfassung der süddeutschen Staaten zu einem eigenen Bund gelang nicht mehr. Stattdessen rückte ein Beitritt dieser Staaten zum Norddeutschen Bund näher. Die kleindeutsche Lösung zeichnete sich ab.

 

Das Ministerium Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1866–1870)

Zu den Kriegsverlierern gehörte auch Bayerns Außenminister von der Pfordten. Er erklärte im Dezember 1866 seinen Rücktritt. Ludwig II. ernannte, unter anderem auf Anraten Richard Wagners (1813–1883), Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819–1901) zum neuen Außenminister und Vorsitzenden des Ministerrats.

Hohenlohe, Angehöriger eines mediatisierten Reichsfürstengeschlechts aus Franken, stand der liberalen „Deutschen Fortschrittspartei in Bayern“ nahe. Sie war 1863 von Karl Brater (1819–1869) gegründet worden. Brater, Redakteur der „Augsburger Abendzeitung“ und von 1848 bis 1851 Bürgermeister von Nördlingen, verschaffte seiner Partei großen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Die enge Abstimmung des Ministeriums Hohenlohe mit der Fortschrittspartei, die die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer des Landtags stellte, führte zwischen 1867 und 1869 zu bedeutenden Reformen im Innern.

 

Reformen in Bayern: Die neue Gewerbeordnung (1868)

Die bayerische Gewerbeordnung von 1868 hob das Zunftwesen endgültig auf. Künftig galt in Bayern die allgemeine Gewerbefreiheit, ein Schritt, den alle übrigen deutschen Staaten schon zuvor vollzogen hatten. Konzessionen für ein Gewerbe mussten nur noch in Ausnahmefällen von staatlichen Stellen eingeholt werden. Ein Jahr später schloss sich Bayern der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes an, die aber erst 1873 im Königreich wirksam wurde.

 

Das neue Heimat-, Ehe- und Aufenthaltsrecht (1868)

Ebenfalls 1868 wurde ein neues Heimat-, Ehe- und Aufenthaltsgesetz verabschiedet. Alle Staatsangehörigen genossen seither volle Freizügigkeit. Das Heimatrecht zu erlangen war nun viel einfacher. Mit ihm verband sich der Anspruch auf etwaige Armenversorgung durch die Gemeinde, die Heiratserlaubnis und die Möglichkeit, ein Gewerbe anzumelden.

Die meisten Beschränkungen zur Eheschließung entfielen. In der Folge gab es immer weniger uneheliche Geburten und immer mehr Kinder, denen Schutz-, Versorgungs- und Erbrechte garantiert wurden. Das Gesetz blieb auch nach der Reichsgründung von 1871 bestehen, als in Bayern die Verfassung für das Deutsche Reich in Geltung kam.

 

Die Reform des Militärwesens (1868/69)

Als Folge der Niederlage von 1866 wurde das bayerische Militärwesen reformiert. Die Friedensabkommen von Berlin mit den süddeutschen Staaten hatten Schutz- und Trutzbündnisse mit Preußen zur Bedingung gemacht, daher musste auch die bayerische Armee an die preußische Heeresorganisation angeglichen werden.

Das Gesetz über die Wehrverfassung von 1868 verschaffte dem Verfassungsgrundsatz der allgemeinen Wehrpflicht in Bayern stärkere Geltung. Während die Möglichkeiten der Befreiung vom Wehrdienst eingeschränkt wurden, reduzierte das Gesetz die aktive Dienstzeit von bis zu sechs auf drei Jahre. Dies kam aber faktisch einer Erhöhung der Dienstzeit gleich, da bisher lediglich etwas mehr als ein Jahr Netto-Dienstpräsenz auf sechs Jahre verteilt war und nun drei volle Jahre aktiv gedient werden musste. Ebenso wurde das preußische Modell des „Einjährig-Freiwilligen“ übernommen, um auch gebildetere Bürger für den verpflichtenden Wehrdienst innerlich zu gewinnen. Dies kam einem gesellschaftlichen Kompromiss gleich, da ein Schulabgänger ab der Mittleren Reife, sich den Truppenteil, in dem er dienen wollte, selbst aussuchen durfte und nur ein Jahr Dienst leisten musste, wenn er für Kleidung, Verköstigung und Unterkunft selbst aufkam. Ein Gesetz des Jahres 1869 regelte erstmals auch das Strafverfahren und den Strafvollzug von Militärgerichten.

 

Die neue Gemeindeordnung in Bayern (1869)

1869 trat eine neue Ordnung für Bayerns Gemeinden in Kraft. Den Kommunen wurde das Recht zur Selbstverwaltung gewährt. Eingeschränkt blieb die Selbstverwaltung nur durch die staatliche Rechtsaufsicht sowie die Staatsaufsicht über polizeiliche Aufgaben, die den Gemeinden übertragen waren. Auch das kommunale Wahlrecht wurde verbessert.

Die beiden Gesetze – je eines für das rechts- und linksrheinische Bayern – brachten eine lange Entwicklung zum Abschluss. Die Verwaltungsreform Montgelas’ von 1802 hatte das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden zunächst völlig beseitigt. Die „staatliche Kuratel“ war bald darauf schrittweise zurückgenommen worden, zumal mit dem Gemeindeedikt von 1818. Doch erst jetzt wurden die Gemeinden als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt. Zudem galt für die Kommunen im rechtsrheinischen Bayern ebenso wie in der Rheinpfalz endlich die gleiche Rechtslage.

 

Die neue Zivilprozessordnung und die versuchte Wahlrechtsreform (1869)

1869 wurde eine neue Zivilprozessordnung für das Königreich Bayern wirksam. Sie sah die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens vor – ein rechtsstaatlicher Standard, der in der Rheinpfalz schon seit Napoleon geherrscht hatte; nun galt er für ganz Bayern. Eine Reform des Wahlrechts, die eine Direktwahl der Abgeordneten mit sich gebracht hätte, scheiterte dagegen am Nein der Liberalen, die um ihre Stimmenanteile fürchteten.

 

Das Gesetz über die öffentliche Armen- und Krankenpflege (1869)

Das weitreichendste Gesetz, das der Landtag von 1869 verabschiedete, betraf die öffentliche Armen- und Krankenpflege. Es wies den Gemeinden, Distrikten und Kreisen Aufgaben zur Versorgung der Armen und Kranken, zur Bestattung verstorbener mittelloser Personen und zur Erziehung und Ausbildung von armen Kindern zu.

Für die Armenpflege auf Gemeindeebene sollten Armenkassen eingerichtet werden. Sie speisten sich aus den bisherigen „Lokalarmenfonds“, aus Stiftungen, gesetzlichen Einnahmen, Abgaben aus Anlass öffentlicher Veranstaltungen, öffentlichen Sammlungen, Schenkungen, Vermächtnissen und Benefizaktionen sowie nötigenfalls aus Zuschüssen aus dem kommunalen Etat. Ein Armenpflegschaftsrat der Gemeinde hatte über die Verwendung der Mittel zu wachen. Für die Krankenpflege konnten die Gemeinden Krankenkassen einrichten. Es stand den Kommunen frei, die Beiträge selbst zu bemessen, sofern sie nicht eine bestimmte Höhe überschritten. Unternehmer von Industrie- und Gewerbebetrieben mit großer Belegschaft konnten zur Zahlung der Beiträge ihrer Beschäftigten verpflichtet werden.

In den Distrikten (die etwa den heutigen Landkreisen entsprechen) sollten Armenhäuser, Armensiedlungen, Krankenhäuser und Erziehungsanstalten für arme und verwahrloste Kinder entstehen. Ein „Distriktsarmenfonds“, der nötigenfalls staatliche Zuschüsse erhielt, sollte für diese Leistungen aufkommen.

Dieses neue System kommunaler Armen- und Krankenfürsorge mutet wie ein Vorgriff auf die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung an, die im späteren Deutschen Reich in den 1880er-Jahren eingeführt wurde. Das Gesetz in Bayern nahm Gemeinden, Bezirke und Kreise, aber auch Arbeitgeber als Sozialträger in die Pflicht. Die Kirchen als traditionelle Hilfs- und Erziehungsorganisationen spielten in diesem Sozialsystem keine eigenständige Rolle mehr. Die Gemeinden konnten immerhin Aufgaben an Dritte, damit auch an kirchliche Einrichtungen, delegieren. Auch waren die Pfarrvorstände aller Religionsgemeinschaften an den kommunalen Armenpflegschaftsräten zu beteiligen.

 

Bilanz der Reformen von 1868/69

Das Gesetz über die Armen- und Krankenpflege trug die Handschrift der Liberalen in Bayern, die zumal die Kirchen im öffentlichen Raum ganz unter staatlicher Aufsicht sehen wollten. Dagegen scheiterte 1869 ein neues Schulgesetz im Landtag, das ebenfalls zur stärkeren Kontrolle der Kirchen gedacht war. Mit dieser Niederlage stieß die liberale Reformpolitik der 1860er an ihre Grenzen.

Die Gesetze von 1868/69 waren in der Mehrzahl schon unter Maximilian II. konzipiert worden. Sie dienten dem Zweck, einer gewandelten Gesellschaft größere Entfaltung zu gewähren und sie zu modernisieren. Nach der kurzen Reformphase der späten 1860er-Jahre trat ein Wechsel der Mehrheitsverhältnisse im Landtag ein. Die Vorherrschaft der Liberalen, insbesondere der Fortschrittspartei, wurde 1869 abgelöst von der bayerischen Patriotenpartei. Sie vertrat eine konservative, stark an der katholischen Kirche angelehnte Grundhaltung. Unter diesen Bedingungen konnte das Ministerium Hohenlohe seine Reformpolitik nicht länger fortsetzen.

 

Der Sturz Hohenlohes

Außenpolitisch suchte das Ministerium Hohenlohe den Anschluss an Preußen. Das entsprach zwar den Wünschen der bayerischen Fortschrittspartei, nicht jedoch dem Willen König Ludwigs II. und ebenso wenig dem der Mehrheit der Bevölkerung.

Als es 1868 zu den ersten Wahlen für ein Parlament des Zollvereins kam, die auch in Bayern die Direktwahl der Kandidaten vorsah, stimmte eine überwältigende Mehrheit gegen die Liberalen und ihre propreußische Politik. Als Sieger in Bayern ging die konservative Patriotenpartei hervor, die im Frühjahr 1869 auch die Mehrheit der Abgeordneten im Landtag errang. Die Regierung ließ daraufhin den Landtag auflösen und nahm eine Wahlkreisreform vor, eine massive Manipulation zugunsten der Liberalen. Bei den Neuwahlen im November 1869 führte dies – anders als von der Regierung erhofft – zu einer noch größeren Mehrheit für die Patriotenpartei. Hohenlohe sah sich schließlich im Februar 1870 auf eine Misstrauensadresse des Landtags hin zum Rücktritt veranlasst.

Hohenlohe, der später Kanzler des Deutschen Reichs und preußischer Ministerpräsident wurde, trat für eine schnelle deutsche Einigung unter Preußens Führung ein. Er befand sich damit im Dissens zu seinem König, der ihm in dieser Hinsicht auch offen widersprach.

Ludwig II. hat gegenüber keinem anderen leitenden Minister größere Eigenständigkeit behauptet als gegenüber Hohenlohe-Schillingsfürst. Das lag nicht nur an der Person des Ministers, sondern gewiss auch an der Tragweite der Entscheidungen, die damals anstanden. Ludwig II. war nach seiner Thronbesteigung bald mit einer Entwicklung konfrontiert, in der zu erkennen war, dass nichts weniger auf dem Spiel stand als Bayerns Unabhängigkeit und die Souveränität seines Königtums.