Reisach


 

GESCHICHTE

 

Oberaudorf, Reisach, Karmelitenkloster – höfische Eleganz

 

 

 

Im Jahr 1729 teilten der kurfürstlich-bayerische Hofkammerrat Johann Georg Messerer und seine Frau Maria Clara dem Provinzial des Karmelitenordens mit, dass sie beabsichtigen, in ihrer 1721 durch Kauf erworbenen Hofmark Urfahrn eine Einsiedelei zu stiften zum Seelenheil ihrer Familie. Das Angebot umfasste ein Kapital von 16000 Gulden und die kostenlose Überlassung des Baugrunds. Die deutsche Provinz der Karmeliten bestand damals aus neun Klöstern in Städten wie Köln, Würzburg und München, besaß aber noch keine Einsiedelei. Da die Karmeliten als Einsiedlerorden auf dem Berg Karmel im Heiligen Land ihren Ursprung hatten, stieß dieser Plan auf große Zustimmung. Trotz des Widerstands der benachbarten Pfarrherren und Ordensgemeinschaften, die Einbußen ihrer Einnahmen befürchteten, genehmigte Kurfürst Karl I. Albrecht das Vorhaben 1730. Ein Jahr später lag auch die Zustimmung des Freisinger Domkapitels vor. Im Oktober 1731 zogen Karmeliten aus München in Urfahrn ein. Als vorläufiger Wohnsitz diente ihnen das alte Schloss. Die Rokokokapelle im 1727 fertig gestellten Neuen Schloss wurde ihnen in einem feierlichen Akt als Wirkungsstätte übergeben. Die Niederlassung stand von Anfang an unter dem Schutz des Kurfürsten.

 

Durch das seelsorgerische Wirken der Karmeliten erhielt das kirchliche Leben im Inntal großen Aufschwung. Pro Jahr wurden allein 12000 Kommunionen verzeichnet. Daher ließ die Stifterfamilie den Plan einer Einsiedelei fallen zugunsten eines Klosters mit großem Gotteshaus. Durch die guten Beziehungen des Hofkammerrats Messerer konnten für das Bauvorhaben erstklassige Künstler gewonnen werden. 1732 fand die Grundsteinlegung für die neue Kirche und das Kloster statt. Die Gebäude wurden nach Plänen des Münchner Hofbaumeisters Johann Baptist Gunetzrhainer und seines Bruders Ignaz Anton von dem einheimischen Maurermeister Abraham Millauer errichtet. 1735 war der Westtrakt, 1738 der im Norden anschließende Konventflügel mit den Mönchszellen fertig gestellt, sodass die Karmeliten im Oktober desselben Jahres noch einziehen konnten. Der Stifter Johann Georg von Messerer starb bereits im Februar 1738 und wurde in der Schlosskapelle im Habit der Karmeliten beigesetzt. Er gehörte wie seine Frau dem Dritten Orden an. Die restliche Anlage entstand im Lauf der nächsten Jahre. Am 15. Oktober 1747 konsekrierte der Freisinger Weihbischof Johann Ferdinand Freiherr von Pödigheim den Saalbau mit sieben Altären zu Ehren der Heiligen Theresa von Avila und Johannes vom Kreuz. Den Richtlinien des Ordens zufolge wurde die Kirche weder mit Deckengemälden noch mit Stuck geschmückt. An ihrer Ausstattung waren jedoch die besten Künstler des Münchner Hofs beteiligt. Der Hofmaler Balthasar Augustin Albrecht lieferte die Altargemälde, die Werkstatt des Hofbildhauers Johann Baptist Straub die Ausstattung der Altäre, der Hofglockengießer Anton Benedikt Ernst zwei Glocken. Bald nach der Weihe der Kirche wurde auch die Weihnachtskrippe angeschafft, die mit ihren bis zu 70 Zentimeter großen Figuren heute zu den kunstvollsten Exemplaren ihrer Art in Oberbayern zählt. 1754 waren die Sakristei, der Chor und die Bibliothek an der Südseite der Kirche vollendet. Von 1761 bis 1763 entstand westlich der Anlage ein Gästetrakt (ab 1851 Sitz des Noviziats).

 

Unter dem Österreichischen Erbfolgekrieg 1743/54 hatten das Kloster und die ganze Region sehr zu leiden. Als 1749 die Panduren im benachbarten Oberaudorf einfielen und viele Häuser in Flammen aufgingen, erreichten die Karmeliten, dass ihr Dorf mit allen Anwesen verschont blieb. Ab 1768 gab es bereits konkrete Hinweise auf die drohende Säkularisation: Durften die Mönche zuvor an allen Sonn- und Feiertagen predigen, wurde nun die Anzahl auf vier Termine pro Jahr beschränkt. Nur mehr vier Patres war es erlaubt, als Beichtväter tätig zu sein. Die Feier kirchlicher Feste wurde auf ein Mindestmaß beschränkt. 1770 wurde den Brüdern die Sammlung von Geld und Lebensmitteln in den umliegenden Ortschaften verboten. Auch für die Reisen nach Rom zu den Generalkapiteln des Ordens gab es keine Erlaubnis mehr. Selbst die alle drei Jahre stattfindenden Provinzkapitel, in denen die Wahl der Oberen vorgenommen und über die Angelegenheiten der Ordensprovinzen verhandelt wurde, stand nun unter der Überwachung der kurfürstlichen Regierung. 1785 wurden die Feiertage abgeschafft oder auf einen Sonntag verlegt.

 

Ein Dekret vom 21. Dezember 1802 verkündete dann die Aufhebung der geistlichen Gemeinschaft und die Weiterbenutzung der Anlage als „Aussterbekloster“ für die Karmeliten aus der Region. Das Kloster wurde zum Staatseigentum erklärt und das Stiftungskapital konfisziert. Da Urfahrn als Sammelkloster diente und die aus Schongau vertriebenen Mitbrüder aufnehmen musste, hat man jedoch fast die gesamte Einrichtung und Ausstattung belassen. Darunter befand sich auch die Büchersammlung, die heute die einzige fast vollständig erhaltene Bettelordensbibliothek aus der Barockzeit darstellt. Ab 1803 lebten 24 Patres und fünf Brüder im Kloster. Im Gästehaus bezog der Distriktarzt seine Wohnung. 1836 starb der letzte Karmelit von Urfahrn. Schon ein Jahr zuvor ließ König Ludwig I., der das kirchliche Leben und die Klöster erneut fördern wollte, in Urfahrn ein Franziskanerhospiz errichten, das noch im selben Jahr in ein Karmelitenvikariat umgewandelt wurde. Ein Jahr später erfolgte die Wiederbesiedlung des Klosters durch Karmeliten aus Würzburg. Gleichzeitig verfügte der König die Umbenennung in „Kloster Reisach“, um damit der Bitte eines Nachfahren der Freiherren von Reisach, die von 1700 bis 1721 Eigentümer der Hofmark Urfahrn gewesen waren, nachzukommen. 1851 wurde das Vikariat zum Priorat erhoben und das Noviziat der Bayerischen Karmelitenordensprovinz in Reisach eingerichtet. In der Tradition des 1731 gegründeten Klosters engagieren sich die Karmeliten bis heute an diesem Ort in der Seelsorge der Einwohner im Inntal.

 

 

 

Christine Riedl-Valder

 

 

 

Link:

 

www.kloster-reisach.de

 



 

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